Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
begann ich deshalb, einen geeigneteren Ansatz zur Quantengravitation zu entwickeln, wobei ich von Richard Feynmans Idee der «Aufsummierung von Möglichkeiten» ausging. In den nächsten beiden Kapiteln werde ich erörtern, welche Konsequenzen dieser Ansatz für den Ursprung und das Schicksal des Universums und seiner Inhalte, zum Beispiel Astronauten, hat. Wir werden sehen, daß die Unschärferelation zwar die Genauigkeit unserer Vorhersagen einschränkt, daß sie aber gleichzeitig die grundsätzliche Unfähigkeit zu irgendwelchen Vorhersagen aufheben könnte, zu der es an einer Raumzeitsingularität kommt.
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Ursprung und Schicksal des Universums
E INSTEINS ALLGEMEINE RELATIVITÄTSTHEORIE sagt aus sich selbst heraus vorher, daß die Raumzeit mit der Singularität des Urknalls beginne und entweder im Endknall (wenn das gesamte Universum rekollabiert) oder in einer Singularität im Innern eines Schwarzen Loches (beim Kollaps einer lokalen Region, etwa eines Sterns) ende. Jegliche Materie, die in das Loch falle, werde an der Singularität zerstört, und nur die Gravitationswirkung ihrer Masse würde draußen noch spürbar sein. Wenn man dagegen die Quanteneffekte berücksichtigte, so schien es, als werde die Masse oder Energie der Materie schließlich an das übrige Universum zurückgegeben, während das Schwarze Loch und mit ihm jegliche Singularität in seinem Innern zerstrahlten.
Könnte die Quantenmechanik ähnlich tiefgreifende Auswirkungen auf die Singularitäten des Ur- und des Endknalls haben? Was geschieht tatsächlich in den sehr frühen und sehr späten Stadien des Universums, wenn die Gravitationsfelder so stark sind, daß die Quanteneffekte nicht mehr außer acht gelassen werden können? Hat das Universum tatsächlich einen Anfang oder ein Ende? Und wenn, wie sehen sie aus?
In den siebziger Jahren habe ich mich vor allem mit Schwarzen Löchern beschäftigt, doch 1981 begann ich mich erneut für den Ursprung und das Schicksal des Universums zu interessieren. Zu diesem Zeitpunkt nahm ich auch an einer Konferenz über Kosmologie teil, die von den Jesuiten im Vatikan veranstaltet wurde. Die katholische Kirche hatte im Falle Galilei einen schlimmen Fehler begangen, als sie eine Frage der Wissenschaft zu entscheiden suchte, indem sie erklärte, die Sonne bewege sich um die Erde. Jahrhunderte später hatte sie nun beschlossen, eine Reihe von Fachleuten einzuladen und sich von ihnen in kosmologischen Fragen beraten zu lassen. Am Ende der Konferenz wurde den Teilnehmern eine Audienz beim Papst gewährt. Er sagte uns, es spreche nichts dagegen, daß wir uns mit der Entwicklung des Universums nach dem Urknall beschäftigten, wir sollten aber nicht den Versuch unternehmen, den Urknall selbst zu erforschen, denn er sei der Augenblick der Schöpfung und damit das Werk Gottes. Ich war froh, daß ihm der Gegenstand des Vortrags unbekannt war, den ich gerade auf der Konferenz gehalten hatte: die Möglichkeit, daß die Raumzeit endlich sei, aber keine Grenze habe, was bedeuten würde, daß es keinen Anfang, keinen Augenblick der Schöpfung gibt. Ich hatte keine Lust, das Schicksal Galileis zu teilen, mit dem ich mich sehr verbunden fühle, zum Teil wohl, weil ich genau dreihundert Jahre nach seinem Tod geboren wurde.
Bevor ich erklären kann, wie nach meiner Meinung und der anderer Wissenschaftler die Quantenmechanik den Ursprung und das Schicksal des Universums beeinflussen kann, müssen wir zunächst die allgemein anerkannte Geschichte des Universums gemäß dem sogenannten «Modell des heißen Urknalls» verstehen. Ihm zufolge läßt sich das Universum bis hin zum Urknall durch ein Friedmann-Modell beschreiben. Aus solchen Modellen geht hervor, daß mit der Ausdehnung des Universums alle darin enthaltene Materie oder Strahlung abkühlt. (Hat sich die Größe des Universums verdoppelt, ist seine Temperatur um die Hälfte gesunken.)
Da die Temperatur einfach ein Maß für die durchschnittliche Energie – oder Geschwindigkeit – der Teilchen ist, muß sich die Abkühlung des Universums entscheidend auf die in ihm enthaltene Materie auswirken. Bei sehr hohen Temperaturen würden sich die Teilchen so schnell umherbewegen, daß sie jeder auf Kern- oder elektromagnetischen Kräften beruhenden Anziehung entgehen könnten, doch mit ihrer Abkühlung wäre zu erwarten, daß sich Teilchen, die einander anziehen, zusammenballten. Mehr noch, von der Temperatur würde es auch abhängen, welche Arten
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