Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
von Teilchen es im Universum gibt. Bei hohen Temperaturen haben Teilchen so viel Energie, daß bei jeder Kollision viele verschiedene Teilchen-Antiteilchen-Paare entstünden, und obwohl einige dieser Teilchen sich im Zusammentreffen mit ihren Antiteilchen annihilieren würden, entstünden sie rascher, als sie sich vernichten könnten. Bei geringeren Temperaturen haben die kollidierenden Teilchen jedoch weniger Energie, so daß sich die Teilchen-Antiteilchen-Paare weniger rasch bilden würden – der Vernichtungsprozeß liefe schneller ab als der Entstehungsprozeß.
Nach dieser Auffassung hatte das Universum zum Zeitpunkt des Urknalls die Größe Null und war deshalb unendlich heiß. Doch mit der Ausdehnung des Universums mußte die Temperatur abnehmen. Eine Sekunde nach dem Urknall war sie auf ungefähr zehn Milliarden Grad gesunken. Das ist etwa das Tausendfache der Temperatur, die im Mittelpunkt der Sonne herrscht. Doch solche Temperaturen werden durchaus bei Wasserstoffbombenexplosionen erreicht. Das Universum enthielt zu diesem Zeitpunkt größtenteils Photonen, Elektronen und Neutrinos (extrem leichte Teilchen, die nur von der schwachen Wechselwirkung und der Gravitation beeinflußt werden), deren Antiteilchen sowie einige Protonen und Neutronen. Mit der weiteren Ausdehnung und Abkühlung des Universums mußte die Geschwindigkeit, mit der in Zusammenstößen Elektronen-Antielektronen-Paare entstanden, unter die Geschwindigkeit sinken, mit der sie sich vernichteten. Die meisten Elektronen und Antielektronen vernichteten sich gegenseitig und erzeugten dabei Photonen, wobei nur wenige Elektronen übrigblieben. Die Neutrinos und Antineutrinos hingegen annihilieren sich nicht gegenseitig, weil sie mit sich selbst und anderen Teilchen nur sehr schwach wechselwirken. Es müßte sie also noch geben. Könnten wir sie beobachten, wäre das ein guter Beweis für die Hypothese vom sehr heißen Frühstadium des Universums. Leider wäre ihre Energie heute zu niedrig, als daß wir sie noch direkt beobachten könnten. Doch wenn die Neutrinos nicht masselos sind, sondern eine kleine eigene Masse besitzen, wie es einige neuere Experimente nahelegen, dann könnten wir in der Lage sein, sie indirekt zu entdecken: Sie könnten eine Form jener «dunklen Materie» sein, von der schon in einem früheren Kapitel die Rede war, mit hinreichender Gravitationskraft, um die Expansion des Universums zum Stillstand zu bringen und es rekollabieren zu lassen.
Etwa hundert Sekunden nach dem Urknall war die Temperatur auf etwa eine Milliarde Grad gesunken – die Temperatur im Innern der heißesten Sterne. Bei dieser Temperatur hatten Protonen und Neutronen nicht mehr genügend Energie, um der Anziehung der starken Kernkraft zu entgehen: Sie verbanden sich zu Atomkernen des Deuteriums (des schweren Wasserstoffs), die ein Proton und ein Neutron enthalten. Die Deuteriumkerne verbanden sich ihrerseits mit weiteren Protonen und Neutronen zu Heliumkernen, die zwei Protonen und zwei Neutronen enthalten, in einigen seltenen Fällen auch zu den Kernen schwererer Elemente wie Lithium und Beryllium. Es läßt sich errechnen, daß im Modell des heißen Urknalls ungefähr ein Viertel der Protonen und Neutronen zu Kernen von Helium sowie einer geringen Menge schwerem Wasserstoff und anderen Elementen umgewandelt worden wäre. Die restlichen Neutronen wären in Protonen, die Kerne gewöhnlicher Wasserstoffatome, zerfallen.
Dieses Bild eines heißen Frühstadiums des Universums wurde erstmals 1948 in einem berühmten Artikel vorgeschlagen, den der Physiker George Gamov gemeinsam mit seinem Studenten Ralph Alpher schrieb. Gamov hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor – überredete er doch den Kernphysiker Hans Bethe dazu, als Koautor mitzuwirken. So erschien der Aufsatz unter den Namen «Alpher, Bethe, Gamov», was eine verblüffende Ähnlichkeit mit den ersten drei Buchstaben des griechischen Alphabets ergab. Wahrhaftig angemessen für eine Arbeit über den Anfang des Universums! Dieser Artikel enthielt die bemerkenswerte Vorhersage, daß aus den sehr heißen Frühstadien des Universums noch heute Strahlung (in Form von Photonen) vorhanden sein müsse, allerdings abgekühlt auf eine Temperatur von nur wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt (–273 Grad Celsius). Genau diese Strahlung wurde von Penzias und Wilson entdeckt. Zu der Zeit, da Alpher, Bethe und Gamov ihren Artikel schrieben, war über die Kernreaktionen von Protonen und Neutronen wenig
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