Eine Leiche zu Ferragosto
Würde zurück, wieder Herr seiner selbst zu sein. Er würde für immer der Callboy bleiben, zu dessen Beerdigung die Leute nicht kamen, weil sie sich schämten. Santomauro spürte, dass diese Ungerechtigkeit beinah so groß war wie die seines Todes.
Ein dunkler Schatten verdrängte das Licht, das durch die offene Tür in die kleine Kirche fiel. Jemand rutschte neben ihn auf die Bank. Regina Capece Bosco, wie immer passend zum Anlass in schwarzer Bluse und weißer Hose, begrüßte ihn mit einem stummen Nicken.
Nebeneinandersitzend verfolgten sie die Messe, und der Maresciallo fühlte sich von ihrer Anwesenheit eigenartig getröstet. Am Ende traten sie untergehakt hinaus in die Sonne. Die anderen kamen langsam, einer nach dem anderen heraus, blieben stehen und wussten nicht, was tun. Regina löste sich von ihm und trat zu Mebazi, flüsterte ihm etwas zu und kehrte dann zu Santomauro zurück.
»Maresciallo, ich habe mich noch gar nicht gebührend bei Ihnen bedankt.«
»Wofür denn? Ich habe doch nichts getan.«
»Sie wissen sehr gut, wofür«, gab sie lächelnd zurück. Und Santomauro wusste es wirklich. Er wusste, dass sie versucht hatte, Pippo Mazzoleni umzubringen, um die Rocca zu behalten, doch er hatte kein Wort verloren über das zweite Messer an dem Ort, an dem Pippo seine Frau für immer verschwinden lassen wollte.
»Ich habe gar nichts gemacht«, wiederholte er, nun ebenfalls lächelnd, und sie nickte ernst. Ihre Anwesenheit hatten sie mit der Neugier erklärt, die sie getrieben hatte, dem heimlich wegschleichenden Freund zu folgen. Nun hielt sie jeder für eine Heldin, und im Dorf rissen sich alle darum, sie beim Wiederaufbau der von den Flammen zerstörten Teile der Rocca zu unterstützen.
Mit ihrem Eingreifen hatte sie Elena Mazzoleni das Leben gerettet, zumindest das, was von ihrem Leben übrig war. Die Frau war komplett dem Wahnsinn verfallen, ihr Schicksal lag hinter den Mauern der Gefängnispsychiatrie, wo sie für immer bleiben würde. Ihr Gehirn, höchstwahrscheinlich schon vorher angegriffen, hatte dem Alptraum der vergangenen Tage nicht standgehalten.
Nach dem Mord hatte sie die Leiche ihres Opfers im Schoßgewiegt, ohne zu wissen, wohin damit, vielleicht auch von Reue geplagt.
Ihr Mann hatte sie gefunden, als die Leiche schon zu verwesen begann, womöglich hatte sie zugesehen, wie Pippo sie verstümmelte, schließlich hatte er sie selbst in dem zweiten Bootsschuppen, den niemand überprüft hatte, gefesselt und geknebelt, wahrscheinlich alles unter dem Einfluss von Sedativa.
In der Düsternis ihres Kerkers, in den wenigen wachen Augenblicken, die die Beruhigungsmittel ihr ließen, hatte ihr Irrsinn sich von den Gespenstern genährt, die ihren Geist verschlangen, und nun war sie nur mehr ein bedauernswertes, delirierendes Wrack. Sie hatten nichts aus ihr herausbekommen, die gesamte Rekonstruktion des Tathergangs und der Motive basierte auf Spekulationen und dem Wenigen, was Pippo Regina vor seinem Flammentod erzählt hatte. Seine halbverkohlte Leiche fand sich knapp jenseits der Schwelle der Rocca, während das Haus, das er so geliebt hatte, größtenteils unversehrt blieb. Einzig der Dienstboteneingang, die Küche und ein paar Zimmer waren den Flammen zum Opfer gefallen, die Anlage an sich war unbeschadet geblieben, vielleicht hatte gar Pippos Eingreifen dazu beigetragen, ein Ausweiten der Flammen zu verhindern, zumindest so lange, bis die Feuerwehr da war.
»Ich frage mich nur«, meinte Regina, »warum er so lange gewartet hat, warum er sie nicht sofort getötet hat.«
»Er wollte garantiert nicht schon wieder eine Leiche im Haus haben, also hat er den passenden Moment abgewartet, um sie auch gleich zu begraben. Dann aber war er doch in Eile. Zu viele Leute hatten versucht, die Villa zu betreten. Titta Sangiacomo, die Polignani. Er hatte Angst.«
»Aber warum ausgerechnet bei mir? Warum hat er sie nicht auf seinem eigenen Grundstück begraben? Dazu hätte er doch ausreichend Zeit gehabt.«
»Sie vergessen, dass Mazzoleni die Villa so schnell wie möglich verkaufen wollte. Das Risiko war groß, dass die Leiche zufällig wieder ausgegraben würde. Die Rocca hingegen …«
»Die Rocca hingegen hätte bald ihm gehört«, beendete sie seinen Satz bitter.
»Eben. Und der Zement hätte das Grab für immer versiegelt. Apropos, ich will nicht indiskret sein, aber was wird nun aus ihr werden?«
Regina sah ihn ernst an: »Paradoxerweise, Maresciallo, hat der Tod meiner Nichte mein Haus
Weitere Kostenlose Bücher