Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)
Schreibtisch stand seit einigen Tagen eine große Kiste, die Simon beim Sitzen behinderte, aber dieser Beitrag zum Chaos im Arbeitszimmer würde nicht mehr lange währen. Morgen war sie endlich leer und kam in den Müll, denn in ihr bewahrte er das Feuerwerk auf, das heute Punkt Mitternacht verschossen werden sollte.
Simon ging durch den Raum hindurch und öffnete die Tür zu seinem Wohnzimmer. Es war hell und gemütlich eingerichtet, obwohl man ihm anmerkte, dass sein Besitzer sich meist woanders aufhielt. Die Sofakissen wirkten neu und unberührt, die Decke darauf schien noch nie benutzt worden zu sein. Auf dem Tisch herrschte eine fast unheimliche Ordnung, ganz im Widerspruch zum Arbeitszimmer.
Simon Neumayer hielt sich tatsächlich meistens im Salon auf, bei den Gästen, wo er sich um sie kümmerte, ihnen jeden Wunsch von den Augen ablas, ihre Klagen entgegennahm und versuchte, ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, damit die vielen leeren, weißen Kästchen in seinem Kalender bald nicht mehr leer und weiß blieben. Wenn er sich dann am Ende eines Tages todmüde in seine Räume zurückzog, fiel er einfach nur in sein Bett und schlief ein, oftmals noch in Hose und Pullover.
Doch davon war er heute noch weit entfernt. Für ihn würde es der längste Tag des Jahres werden, und bevor er beruhigt ins Bett fallen konnte, wollte er seinen Gästen das Ereignis des Jahrhunderts präsentieren. Aber dazu musste Lukas Petzold endlich auftauchen.
Simon hatte gehofft, dass Lukas hier im Wohnzimmer auf ihn warten würde, doch der Raum lag ruhig und verlassen. Kein Lukas lümmelte auf der Couch und nörgelte über das Essen oder das Wetter oder die Farbe des Teppichs. Er blieb verschwunden.
Simon Neumayer schritt durch das Zimmer hindurch und ging zu dem kleinen Gästezimmer, das vom Wohnzimmer abging und neben seinem Schlafzimmer lag.
Er klopfte an, doch keine Antwort erfolgte. »Lukas?« Vorsichtig öffnete Simon die Tür, doch auch dieses Zimmer war leer. Ein paar Noten lagen auf dem Bett, der Frack hing an einem Bügel auf der Innenseite der Tür. Aber kein Lukas befand sich in dem Raum.
Enttäuscht schloss Simon die Tür und ging nach nebenan, in sein eigenes Schlafzimmer. Es war so winzig wie eine Gefängniszelle. Ein großes Bett passte gerade so in den Raum, dazu ein schöner, alter Schrank, der mit verschiedenen Mustern verziert war, und ein einfacher Stuhl. Mehr Fassungsvermögen hatte das Zimmer nicht, und wenn Simon beim Ankleiden nicht aufpasste, stieß er mit den Händen an den Wänden an. Immerhin hatte er einen ganz hübschen Blick, wenn er im Bett lag, den er allerdings nie genießen konnte, da er meistens schon mit geschlossenen Augen in das selbige fiel. Das Fenster zeigte hinaus auf das Wäldchen hinter dem Hotel, und an Sommerabenden lag die Sonne in einem ganz bestimmten Dreieck so leuchtend orange in den Bäumen, dass es aussah, als würden sie brennen. Heute jedoch nicht. Heute schaltete Simon das Licht im Schlafzimmer an, weil die Bäume das Licht der Sonne blockierten. Er nahm den Anzug, der bereits auf dem Stuhl lag, zur Hand. In Windeseile streifte er sich mit geübten Händen den Skianzug ab und zog den Anzug an. Er hielt kurz inne, um auf den Hof vor dem Hotel hinaus zu lauschen, von wo er jetzt ganz deutlich das Klingeln der Schlittenglöckchen vernahm. Danach prüfte er kurz sein Aussehen im Spiegel in der Innenseite einer Schranktür, wobei er sich ganz eng an die Wand drücken musste, bevor er den Schrank schloss, das Licht löschte und seine Privaträume wieder verließ, um die Gäste in Empfang zu nehmen.
Das Geläut der Pferdeschlitten verstummte, als die Wagen vor dem Hotel zum Stehen kamen. Die Pferde dampften in der Kälte des Wintertages. Aus ihren Nüstern stieg ihr Atem wie kalter Rauch in die Luft. Das erste Pferd der sechs Schlitten, die gerade eingetroffen waren, schnaubte erleichtert und schüttelte seinen Kopf, als könne es nicht fassen, solch eine Last an diesem Tag getragen zu haben.
Jeweils vier Passagiere saßen in einem Schlitten, in einem großen Container am hinteren Ende des Schlittens befand sich das Gepäck. Die Gäste waren in dicke Decken gehüllt und sahen erwartungsvoll auf das Gebäude, das sie für ein paar Nächte aufnehmen würde. Die Nachmittagssonne tauchte es in ein warmes, weiches Licht. Die frisch geputzten Fenster glitzerten, und der Schnee auf dem Dach glänzte ebenfalls wie frisch gewaschen. Wer die Berge nicht kannte, konnte ein
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