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So viel Lust und noch mehr Küsse

So viel Lust und noch mehr Küsse

Titel: So viel Lust und noch mehr Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jamie Denton
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1. KAPITEL
    Regel Nr. 1: Eine Dame weint nie in der Öffentlichkeit.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben brach Carly Cassidy die Regeln. Und was hatte sie davon? Nichts als Ärger, wie ihr klar wurde, während sie in ihrem kaputten Ford Escort in einer fremden Stadt saß, in der sie absolut niemanden kannte, und von heftigen Schuldgefühlen geplagt wurde.
    Wenn man so viele Menschen enttäuscht, ist das kein Wunder, dachte sie. Sie sah zur offenen Tür einer Bar an der Ecke. Wenn es dort ein Münztelefon gab, konnte sie einen Abschleppwagen rufen. Es war schon schwierig genug, mit ihren Selbstvorwürfen fertig zu werden, ohne dass zu ihrem Gefühlschaos auch noch Verzweiflung hinzukam. Sie war unmittelbar vor ihrer Hochzeit geflohen und hatte Stunden damit zugebracht, den Segelbooten auf dem Lake Michigan nachzuschauen. Keiner der Segler, die die warme Mittagssonne genossen, hatte eine Ahnung gehabt, welche Zweifel Carly quälten. Als die Sonne unterging, war sie sich noch immer nicht sicher gewesen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
    Laute Rockmusik drang aus der offenen Tür der kleinen Kneipe und weckte ihre Aufmerksamkeit. Das einzige andere Zeichen von Leben in diesem älteren Stadtteil Chicagos kam von einem geschlossenen Supermarkt, dessen gedämpftes Licht auf den Gehsteig fiel. Carly drehte sich um und hielt in Richtung Supermarkt nach einem Münztelefon Ausschau. Doch dort war nichts außer dunklen Ladenfronten zu sehen. Und sie konnte ja schlecht die ganze Nacht im Wagen sitzen bleiben.
    “Du liebe Zeit”, murmelte sie. Sie war erwachsen, also hatte sie jedes Recht, in diese Bar zu gehen und das Telefon zu benutzen. Sie konnte sogar einen Drink bestellen, wenn ihr danach war. Wieso zögerte sie dann?
    Sie seufzte. Die Antwort lautete: Weil die Tochter eines Pfarrers, die vierundzwanzig Jahre brav den Regeln gefolgt war, nicht einfach eine Bar ohne männliche Begleitung betrat. Schon gar nicht in einem Hochzeitskleid.
    Sie hob das Kinn, entschlossen, die zweite Regel am gleichen Tag zu brechen, und nahm ihr Satintäschchen vom Beifahrersitz. Dann stieg sie aus dem Wagen, wobei sie Mühe hatte, nicht über die Flut des sich bauschenden weißen Satins zu stolpern.
    Sie zerrte an der Schleppe, die sie vor der plötzlichen Flucht von ihrer eigenen Hochzeit nicht mehr hatte losmachen können, und die sich jetzt drei Meter lang vom Fahrersitz auf den Asphalt ergoss. Sie raffte die Schleppe, warf die Tür ihres störrischen Wagens zu und marschierte resoluten Schrittes zum Eingang unter dem blinkenden grünen Neonschild.
    Dröhnende Musik und der Geruch nach abgestandenem Rauch und Alkohol schlugen ihr entgegen, als sie die Bar betrat. Alles, was sie brauchte, war ein Telefon, um einen Abschleppdienst zu rufen. Dann würde sie sofort wieder verschwinden. Wohin, wusste sie allerdings noch nicht.
    Doch sie hatte vor, so lange wie möglich von Homer, Illinois, fortzubleiben.
    Carly ging den Bogengang zur Bar hinauf. Ihr Selbstbewusstsein geriet ins Wanken. Du kannst es, sagte sie sich. Wie sollte sie sonst lernen, allein zurechtzukommen und – was noch wichtiger war – zu tun, was sie für richtig hielt, wenn sie sich nicht einmal in diese Bar wagte?
    Den Song, der mit ohrenbetäubender Lautstärke aus der Jukebox dröhnte, kannte sie von einem älteren MTV-Rockvideo. Der Name des Leadsängers war Flea – also Floh – und in dem Video war der Großteil seines Körpers tätowiert gewesen. Wer gibt seinem Sohn so einen verrückten Namen? fragte sie sich.
    Die Antwort lag auf der Hand. Jemand, der sein Leben selbst gestaltete und auf Anstandsregeln pfiff. Jemand, der nicht dauernd klaglos alles tat, was man von ihm erwartete. Jemand, der sich nicht halb so elend fühlte wie sie jetzt, weil sie vor ihrer eigenen Hochzeit geflüchtet war.
    Ein hölzernes Schild über einem langen Spiegel an der Wand hinter dem Mahagonitresen weckte ihre Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal seit Tagen umspielte ein echtes Lächeln ihre Mundwinkel, als sie die Inschrift las: “Take a Walk on The Wilde Side.”
    Etwas Passenderes konnte sie sich für eine Frau, die beschlossen hatte, die Regeln zu brechen, nicht vorstellen.
    Das Wilde Side war der letzte Ort, an dem Cooper Wilde erwartet hätte, eine Märchenprinzessin zu treffen. Aber genau so ein Wesen war gerade durch die Tür gekommen. Eine platinblonde Märchenprinzessin mit einem wundervollen Körper und großen türkisfarbenen Augen und besorgter Miene. Sie schaute sich

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