Eine letzte Breitseite
Sie.«
Eine Sekunde lang blitzte die alte Wärme in Herricks Augen auf; die Kameradschaft, das Vertrauen, die jetzt so leicht zu zerstören waren. »Ich komme mir vor«, entgegnete er, »wie ein alter Fuß in einem neuen Schuh.« Jetzt lächelte er ebenfalls. »Aber ich lasse Sie bestimmt nicht im Stich.«
Er wandte sich um und ging hinaus; nach einer diskreten Pause schleppten Allday und zwei Matrosen eine große Kiste herein. Allday blickte sich rasch in der Kajüte um – anscheinend gefiel sie ihm.
Langsam wich Bolithos Spannung. Allday blieb immer der gleiche, Gott sei Dank. Selbst das blaue Jackett mit den großen vergoldeten Knöpfen, die neue Nankinghose und die Schnallenschuhe, die Bolitho ihm gekauft hatte, um seinen neuen Status als Bootsführer des Kommodore zu unterstreichen, vermochten nicht, seine kraftvolle, rauhe Persönlichkeit zu verbergen.
Bolitho schnallte den Degen ab und reichte ihn Allday.
»Na, Allday, was halten Sie von der
Lysander
?«
Allday sah ihn gelassen an. »Ein gutgebautes Schiff…« Das Wort »Sir« wollte ihm nicht über die Lippen. Sonst hatte er Bolitho immer »Captain« genannt, das hatte sich zwischen ihnen so ergeben. Seit dem neuen Rang stimmte nun auch das nicht mehr.
Allday erriet Bolithos Gedanken und grinste betreten. »Entschuldigung, Sir.« Böse starrte er die beiden Matrosen an, die noch mit einer Kiste in Händen dastanden. »Aber ich kann warten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann heißt es sowieso ›Sir Richard‹!«
Er wartete, bis die beiden Matrosen draußen waren, und sagte dann leise: »Sie möchten jetzt wohl gern allein sein, Sir. Ich werde Ihrem Steward Bescheid sagen, wie Sie alles haben wollen.«
Bolitho nickte. »Sie kennen mich gut.«
Allday schloß die Tür hinter sich. »Besser, als du dich jemals selber kennen wirst«, murmelte er und warf dem Posten vor der Tür einen kalten Blick zu.
Draußen auf dem Achterdeck trat Herrick langsam an die Netze und starrte zu den anderen Schiffen hinüber. Das war ein schlechter Anfang gewesen, für sie beide. Aber vielleicht war alles auch nur Einbildung, sogar seine Abneigung gegen Farquhar. Farquhar seinerseits teilte diese Abneigung bestimmt nicht, dem war er völlig gleichgültig. Warum regte er sich also bei jeder Gelegenheit auf?
Bolitho war doch der alte geblieben. Dieselbe Ernsthaftigkeit, die jederzeit in jugendlichen Übermut umschlagen konnte. Sein Haar war so schwarz wie eh und je. Er war auch immer noch so schlank und beweglich, nur seine rechte Schulter wirkte etwas steif. Wie lange war es her, daß ihn die Musketenkugel verwundet hatte? Fast sieben Monate mußten es schon sein. Die Linien um seine Mundwinkel waren ein bißchen tiefer geworden. Wegen der Schmerzen oder der neuen Verantwortung? Wohl beides zu gleichen Teilen.
Herrick sah, daß der Wachoffizier ihn neugierig musterte, und rief: »Mr. Kipling, Signal an Geschwader:
All
e
Kommandante
n
auf
Abru
f
a
n
Bor
d
de
s
Flaggschiffs!«
Auf dieses Signal hin würden sie jetzt ihre besten Uniformen anlegen, Inch in seiner winzigen Kajüte, Farquhar in seinem luxuriösen Quartier. Aber alle würden ebenso neugierig sein wie er: wo es hinging, was sie zu erwarten hatten – und was es sie kosten würde.
Über sich an Deck hörte Bolitho das Trappeln von Füßen; nach kurzem Zögern legte er seinen Galarock mit dem einzelnen Goldstreifen ab und setzte sich an seinen Arbeitstisch. Er schnitt das große Leinwandkuvert auf, konnte sich jedoch nicht gleich dazu entschließen, die sauber geschriebene Depesche zu lesen.
Immer noch hatte er Herricks besorgtes Gesicht vor Augen. Sie waren fast gleich an Jahren, und doch kam ihm Herrick sehr gealtert vor; sein braunes Haar war hier und da grau bereift. Bolitho fiel es schwer, etwas anderes in ihm zu sehen als seinen besten Freund. Aber er mußte in ihm den Kommandanten sehen, den Flaggkapitän eines neuen Geschwaders, das noch nie als selbständiger Verband zusammengewirkt hatte. Eine schwere Aufgabe für jeden, auch für einen Thomas Herrick… Bolitho versuchte, die plötzlich aufsteigenden Zweifel zurückzudrängen. Herrick war von bescheidener Herkunft, Sohn eines Schreibers; doch gerade seine unbedingte Ehrenhaftigkeit, die ihn zu einem Mann machte, auf den unter allen Umständen Verlaß war, konnte ihm hinderlich sein, wenn es galt, Entscheidungen von größerer Tragweite zu treffen. Herrick war ein Mann, der jeden rechtmäßigen Befehl ohne Fragen und ohne Rücksicht auf
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