Eine Liebe in Paris
Vorteil meines Parisaufenthalts: Ich würde viel Zeit zum Nachdenken haben.
»Was hast du denn da eingepackt, Steine?«, fragte meine Mutter, als sie meinen Koffer aus dem Kofferraum hievte.
»Lass mich das machen. Schöne Mädchen haben immer schwere Taschen«, sagte Mogens und hob mühelos das Gepäck auf. »Komm.« Er griff meine Hand und führte mich in den Terminal, der voller Menschen war. Vor den Schaltern der
Air France
standen die Reisenden Schlange, um einzuchecken; im Zeitschriftenladen lasen die Leute, ohne zu kaufen, unter dem Schild, auf dem in roten Buchstaben geschriebenstand: »
Erst kaufen, dann lesen«
, und auf der Anzeige hoch über unseren Köpfen ratterten die Zeiten der Abflüge durch. Bis zum Elf-Uhr-Flug nach Paris blieben uns noch zwei Stunden Zeit.
Als ich meinen Koffer abgegeben hatte, sah meine Mutter sich um.
»Lass uns dahin gehen«, schlug sie vor und zeigte auf ein kleines Café, das zwischen zwei Luxusboutiquen versteckt lag.
»Wollt ihr stehen oder sitzen?«, fragte Mogens, als wir das Café betraten.
»Stehen«, entschied ich. »Bringst du mir bitte einen Espresso mit? Ohne Zucker. «
Eigentlich hatte ich eher Lust auf eine heiße Schokolade mit Sahne, aber das ging nur auf die Hüften, und die waren bei mir sowieso schon zu rund.
»Fehlt nur noch die Zigarette, dann ist das Artistenfrühstück komplett«, meinte meine Mutter und stellte sich ihre Tasche zwischen die Füße. Mogens und ich tauschten einen schnellen Blick aus, den sie dennoch auffing. Ich unterdrückte ein Lachen und meine Mutter runzelte die Stirn. »Du rauchst doch nicht etwa, Ava?«
Ich schüttelte den Kopf, während Mogens plötzlich ganz dringend sein Handy kontrollieren musste.
»Na ja. Für mich einen Latte, bitte«, sagte sie und sah Mogens nach, wie er zum Tresen ging. Wir beide schwiegen einen Augenblick.
»Und wann fliegst du genau nach Dubai?«, fragte ich dann.
»Am Montag um elf. Je eher ich anfange, desto schneller bin ich fertig, und wenn ich den Auftrag bekomme, dann ist das ein Wahnsinnserfolg für mein Büro.«
Ein Wahnsinnserfolg für ihr Büro, das sie vor einigen Jahren auf Augsburgs feiner Maximilianstraße gekauft hatte und in dem nun zwanzig andere Architekten für sie arbeiteten. Die Einladung, sich in Dubai um den Bau eines Einkaufszentrums dort zu bewerben, war ihr im Juli ganz überraschend in den Briefkasten geflattert. Den September, den ich in Paris verbringen würde, war sie in Dubai, um alle wesentlichen Personen zu treffen und sich ein Bild von dem Terrain zu verschaffen. Mich wollte sie nicht einen Monat lang allein lassen und mitnehmen konnte sie mich auch nicht. Oh ja, ich wusste genau, wie die Einladung der Lefebvres aus Paris an mich zustande gekommen war!
»Ich bin froh, dass wir das mit Paris so arrangieren konnten. Bitte, versprich mir, dass du dich bei den Lefebvres benimmst. Marie ist eine alte Brieffreundin von mir. Sie war früher mal eine Balletttänzerin, also hat sie auch eine künstlerische Ader wie du. Und Camille ist in deinem Alter. Ihr werdet euch bestimmt gut verstehen.«
Camille, so hieß Marie Lefebvres Tochter. Das arme Kind, denn wie konnte man nur wie der fadeste Tee der Welt heißen? Ich selber war nach einem Filmstar benannt, nach Ava Gardner, der coolsten und schönsten Frau der Leinwand, die Männern reihenweise und gnadenlos das Herz gebrochen hatte. Wie sollten Camille und ich uns da gut verstehen? Zudemwar sie mit ihren vierzehn Jahren noch zwei Jahre jünger als ich. Also waren wir nicht im selben Alter, sondern sie war ein nerviger pubertierender Fratz. Uns trennten Welten, das war schon mal klar.
»Brieffreundin. Das klingt so altmodisch«, sagte ich.
Meine Mutter lächelte. »Das ist es auch. Leider. Was schreibt man heutzutage noch mit der Hand? Dabei fließen die Gedanken beim Briefeschreiben ganz anders. Aber bei euch gibt es nur noch Mails und SMS. Wann hast du den letzten Brief geschrieben?«
Ich überlegte. »Als ich das letzte Mal die Schule geschwänzt habe. Der Lehrer wollte eine von dir unterschriebene Entschuldigung haben. Also habe
ich
sie ihm geschrieben.«
Da musste sogar meine Mutter lachen.
»
Voilà, Mesdames«
, sagte Mogens, als er die Kaffeetassen auf dem hohen Tischchen vor uns abstellte. Mein Espresso sah zum Magenumdrehen bitter und stark aus. »
Un café au lait pour Susanne et un espresso sans de la lait pour Ava
.«
»
Sans de la lait
. So ein Quatsch.
Sans du lait
«, verbesserte ich ihn, und er
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