Eine Liebe in Paris
und das Kinn in seine Hand und schaute mich abwartend an. Die beeindruckend geschwungene Augenbraue stieg noch ein Grad höher, aber nun lächelte er wieder und sah aus wie ein Schuljunge, dem gerade eine gute Idee gekommen war, wie er den Lehrer ärgern konnte.
»Ich denke darüber nach, wo all die Frauen sind«, platzte ich heraus und war dankbar für jede Französischstunde, die ich nicht geschwänzt hatte. Denn sonst hätte ich nun ohne Worte dagestanden, obwohl ich sicher noch immer in jedem Satz tausend Fehler machte.
Er lachte ein angenehmes Lachen, das tief aus seinem Bauch kam. »Sie überlegen sich, wo all die Frauen sind? Ist das nicht eigentlich Männersache?«
Ich ärgerte mich über meine Ehrlichkeit, aber nun blieb mir nur die Flucht nach vorn. Im Stillen schickte ich ein Dankesgebet an meine Mutter, die mich nie irgendeine Meinung äußern ließ, ohne sofort nachzuhaken. Jetzt machte ich es wie sie.
»Gibt es das denn noch, Männersachen?«, fragte ich ihn zurück. Sein Lächeln vertiefte sich und zwei Grübchen erschienen auf seinen Wangen, während er überlegte, bevor er mir antwortete.
»Vielleicht gibt es sie noch, vielleicht auch nicht mehr. Das werden Sie in Ihrem späteren Leben entscheiden müssen. Also, wo sind all die Frauen? Was meinen Sie,
Mademoiselle?
«
Ich verzog wie zufällig meinen zartrosa Cardigan und zeigte dabei meine nackten, vom Sommer noch gebräunten Schultern, die aus einem weißen Feinripptop hervorsahen. Ich trug keinen BH und im Flugzeug war es kühl.
Der Mann zwinkerte einmal zu viel, ließ aber sonst seinen Blick auf meinem Gesicht haften und wiederholte seine Frage.
»Wo sind all die Frauen?
Cherchez la femme
, so sagen wir zumindest in Paris.«
»Na ja – sehen Sie sich doch mal hier um. Wir sitzen in der ersten Klasse in einem Flugzeug«, sagte ich.
»Und?«
»Außer mir selber ist nur noch ein weibliches Wesen hier und das ist bestimmt eine Ehefrau.« Ich zeigte diskret mit dem Kinn hin zu der Dame, die in karamellfarbenem Kaschmir in der ersten Reihe saß und eine Frauenzeitschrift las.
»Noch kann ich Ihnen folgen«, sagte er freundlich.
»Die Schulen und Unis sind voll mit Mädchen und jungen Frauen, die alle Karriere machen wollen. Wo sind sie also? Sollten sie nicht genau wie die Männer geschäftlich in aller Welt unterwegs sein und hier mit uns sitzen?«
Er schüttelte den Kopf. »In Ihrem Land werden diese Frauen leicht an die dreißig, ehe sie mit einer Karriere beginnen können. Und dann müssen sie Kinder bekommen, denn sonst ist es zu spät. Und das ist noch immer Frauensache und wird es voraussichtlich auch immer bleiben.«
»Okay. Das stimmt für das Kinder
bekommen
. Sich aber nachher um diese Kinder zu kümmern, ist das dann auch unbedingt Frauensache? Kann ein Mann das nicht genauso gut tun?«, erwiderte ich kämpferisch. »Müssen denn unbedingt die Frauen alles dafür aufgeben?«
Er sah mich nachdenklich an, aber in seinen Augen glitzerte noch immer dieses Licht. Offensichtlich machte ihm unsere Unterhaltung großen Spaß. Oder nahm er mich etwakein bisschen ernst? In meinem Inneren stellten sich Stacheln auf. Mogens nannte das meinen inneren Igel, wenn er mich ärgern wollte.
»Wer hat Sie erzogen? Ihr Vater? Oder Ihre Mutter?«, fragte mich der Mann.
»Meine Mutter«, sagte ich kurz. Dass ich nicht einmal wusste, wer mein Vater war, tat hier nichts zur Sache. Erzogen hatte mich meine Mutter. Wenn man das so ausdrücken konnte:
erzogen
. Sie hatte mich eher in ihr Leben genommen, ob ich das nun wollte oder nicht, und mich als Säugling in der Tragetasche mit in den Hörsaal geschleppt.
»Und wie kommt es, dass Sie hier in der ersten Klasse sitzen? Hat Ihr Vater mit seiner erfolgreichen Karriere dafür bezahlt?«, fragte er weiter.
Seine Frage war unverschämt offen und provokant. Aber gut, entschied ich, ich hatte das Thema schließlich selbst heraufbeschworen. Ich wurde rot, als ich ehrlich antwortete: »Ich habe einen Upgrade bekommen, weil der Flieger überbucht war.«
Er lachte. »Das gefällt mir. Vor allen Dingen, dass Sie das so offen zugeben. Glück muss man haben im Leben, sonst bringt man es zu gar nichts.«
»Und Sie?«, fragte ich frech zurück. »Wer zahlt für Ihr Ticket?« Ich betonte das
Ihr
bewusst.
Votre billet
. Im Deutschen wäre es mir albern vorgekommen, ihn zu siezen, denn er war sicher nicht mehr als sechs oder sieben Jahre älter als ich. Im Französischen aber löste diese Anrede etwas
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