Eine Liebe in Paris
Seltsamesaus: einen Abstand, der uns nahebrachte und der unser Gespräch noch interessanter machte.
»Ich bin geschäftlich unterwegs«, erwiderte er und klappte nun die Kunstzeitschrift zu, die bis dahin offen aufgeschlagen auf seinen Oberschenkeln gelegen hatte. Er sah einen Augenblick auf das Cover und dann aus dem Fenster. Mein Blick fiel auf seine Hände, die das Magazin einrollten. Seine Fingernägel waren kurz geschnitten und peinlich sauber, aber an seinen langen feingliedrigen Fingern klebte – Farbe. Ich musste zweimal hinsehen, um mich zu vergewissern. Aber ja, es war Farbe: lauter bunte Kleckse.
Schade, dass seine Antwort so knapp gewesen war, dass sich die Frage
Und was tun Sie geschäftlich
eigentlich verbot. Das Gespräch mit ihm hatte auch mir Spaß gemacht. Mogens sagte immer, Frauen seien Ohrentiere und ihre Herzen nur über ein gutes Gespräch und Gelächter zu gewinnen. Das Zitat war natürlich geklaut, und zwar aus Oskar Wildes Roman
Das Bildnis des Dorian Gray
. Wilde konnte sich nicht irren, entschied ich, aber gerade jetzt wollte ich nicht an Mogens denken.
Ehe ich noch etwas sagen konnte, ging über unseren Köpfen das Anschnallzeichen an. Ich schloss den Gurt über meinen Hüften, die in engen schwarzen Jeans steckten, und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er mich dabei beobachtete. Meine Haut prickelte wie unter einer Berührung, ich sah nicht auf, als ich mir meinen Cardigan wieder zurechtzog und das Flugzeug sich im Landeanflug senkte.
»Sehen Sie aus dem Fenster«, sagte er zu meiner Überraschung auf Deutsch.
»Weshalb?«
»Tun Sie es einfach.«
Ich gehorchte und mein Herz schlug vor Aufregung schneller. Tief unter uns zog sich die Seine wie ein silbernes Band zwischen ihren beiden Ufern hindurch und trennte und einte die Stadt mit ihrer Unzahl an grauen Häusern. Ich machte den Triumphbogen aus, von dem sternförmig die Avenuen um die
Champs-Élysées
abgingen. Auf einem grünen Hügel schimmerten weiß die Zuckerbäckerkuppeln von
Sacré Cœur
, so, wie ich sie auf dem Umschlag meines Französischbuches gesehen hatte. In Echt sahen sie aber selbst im Miniaturformat noch viel besser aus.
»Wunderschön«, sagte ich leise.
»Schauen Sie nach rechts.« Es klang, als halte er eine besondere Überraschung für mich bereit.
Ich wandte den Kopf. Der Eiffelturm ragte mir steil aus der grünen Weite eines Marsfeldes entgegen und schien mich zu grüßen. Beinahe hätte ich zurückgewunken, aber ich ließ die Hand gerade noch auf der Armlehne ruhen.
Der Mann lächelte noch immer, als ich wieder zu ihm sah. Seine langen lockigen Haare waren wie bei einem Jungen verstrubbelt und die Grübchen auf seinen Wangen sehr tief, er sagte: »Der Anblick nimmt mir immer wieder den Atem. In dieser Stadt kann in jedem Augenblick alles passieren. Es gibt auf der ganzen Welt keinen anderen Ort wie diesen.«
Der Flieger setzte mit einem harten Schlag auf und die Bremsen verursachten ein sausendes Geräusch. Am Fenster flog das Grün von Baumspitzen vorbei, wie bei einem Film, der viel zu schnell abgespielt wurde. Dann verlangsamten sich die Bilder und um uns waren nur noch die Wiesen von
Roissy:
Kleine Grünflächen, auf denen sich Hunderte von Hasen tummelten.
»Eines Tages bricht dieser ganze Flughafen einfach weg, so viele Hasen haben hier ihren Bau«, sagte der Mann, als er aufstand, um seine Tasche aus dem Fach über seiner Sitzreihe zu holen.
»Weshalb tut niemand etwas gegen die Hasen?«
Er zuckte mit den Schultern und wechselte wieder ins Französische. »Leben und leben lassen.
Bienvenue à Paris, Mademoiselle
. Wie heißen Sie eigentlich?«
»Ava.«
»Was für ein schöner Name. Das hat Klasse. Ich heiße Jean-Loup.«
Wir verließen das Flugzeug vor all den anderen Passagieren, die alle gleichzeitig ihr Handy einzuschalten schienen, denn die Luft war von einem vielstimmigen Piepsen erfüllt. Jean-Loup ging mir voran, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, und befragte ebenfalls sein Handy nach verpassten Anrufen oder Nachrichten. Ich steckte mir wieder die Hörer meines iPods in die Ohren. Die besorgte SMS von Mogens, ob ich denn auch gut angekommen sei, konnte ichauch später noch beantworten. Nun musste ich zuerst an meinen Koffer kommen.
Ich war mit einem Mal erleichtert, dass Henri Lefebvre mich abholte, denn schon der Anblick dieser Stadt von hoch oben in der Luft hatte mich überwältigt. Ich wollte mich ihr nicht sofort ohne Schutz und Begleitung nähern.
Als wir den
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