Eine Liebesehe
entgeht viel. Hoffentlich wird sie durch deinen Einfluß nicht noch schlimmer, Monty. Was ist das? Nein, ich bin gegen all diese Dinge. Predigten und Steine haben leider nichts miteinander zu tun, und Wälder sind leicht feucht. In New York mußt du ein geistliches Haus finden, Louise.«
Sie hörten ihr zu, wie sie ihr von jeher zugehört hatten, er und Louise, zwei ziemlich blasse Kinder, die in dem schönen, ruhigen Hause sehr gut erzogen wurden. Er hatte nie feststellen können, ob Louise sich ebenfalls oft langweilte. Es hatte Tage gegeben, an denen er aus diesem großen Fenster auf den von Frühlingssonnenschein erfüllten Platz hinunterblickte und sein Herz in der Brust als ein von ihm gesondertes Geschöpf empfand. Eines Tages würde es geradewegs aus ihm hinausspringen, pflegte er zu denken, ohne ihn davonziehen und ihn wie eine Schale zurücklassen. Was für eine Farbe hatte ein Knabenherz, und wie war wohl seine Form?
Dann erinnerte die Mutter sich seiner. »Übrigens, William, was, sagtest du doch, hast du heute nachmittag gemalt?«
»Ich sagte gar nichts, Mutter.« Er nahm sich von der mit Äpfeln gefüllten Ente.
»Nun?«
»Ich möchte lieber warten, bis ich das Bild fertig habe, Mutter, und es dir dann zeigen.«
»Unsinn, William!«
»Es ist mir wirklich Ernst, Mutter.«
Er sah, daß sie vor Überraschung leicht ärgerlich wurde, und er schämte sich, weil er seine alte Kinderfurcht vor ihr fühlte.
»Na gut, William – allerdings finde ich das sonderbar von dir.«
Ehe er antworten konnte, begann Louise zu sprechen – rasch, wie er wußte, um die Lage zu glätten.
»Oh, Mutter, es hat Monty und mich wundergenommen – was würdest du meinen, wenn wir uns eins von den neuen, pferdelosen Fahrzeugen zulegen würden?«
Frau Barton vergaß alles andere. »Ich würde euch beide für ganz und gar närrisch halten«, erwiderte sie streng. Sie hob die schweren Lider und richtete die grauen Augen auf ihren Schwiegersohn. »Du willst doch wohl nicht im Ernst etwas so Tollkühnes mit Louise unternehmen.«
Monty trank seinen Wein, bevor er Antwort gab. »Man hört heutzutage viel von ihnen reden«, sagte er ausweichend.
»Das ist kein Grund, um es Narren gleichzutun«, entgegnete Frau Barton. Ihre beringte linke Hand, die den Stiel des Weinglases umfaßte, war dünn wie eine Sehne und ebenso stark, obwohl sie nie rauhere Arbeit getan hatte, als feines Teegeschirr zu spülen.
Monty lächelte und schwieg. Da er gekommen war, um mit seinem Schwiegervater über die Anlage einiger seiner Millionen zu sprechen, wußte er Besseres zu tun, als der alten Dame zu widersprechen. Von Louise hatte er allerlei über sie erfahren.
In der entstandenen Stille wandte sich Frau Barton wieder ihrem Sohne zu.
›Ich will ihr nichts von Ruth erzählen‹, dachte er.
Doch ehe sie sprechen konnte, sah sie, daß ihr Mann ein gefülltes Weinglas an die Lippen hob.
»Harold! Was fällt dir ein!«
Bartons Hand zitterte leicht. Er schluckte zweimal mühsam und setzte das Glas nieder.
»Ich wollte nur mal Louises Wein kosten, meine Gute.«
Bartons Stimme war sanft, und seine Augen waren so unschuldig wie die eines Kindes.
»Das solltest du nicht tun«, sagte Frau Barton streng. »Harold, ich ermahne dich nur zu deinem Besten.«
»Ich weiß, meine Liebe, und ich will es nicht wieder tun.«
Er warf einen Blick auf seine beiden Kinder, und alle drei beugten dann den Kopf über den Flammeri, der jetzt an die Reihe gekommen war. Als hätte er es mit eigenen Augen gesehen, so sicher wußte William, daß Louise ihr Glas absichtlich links hingestellt hatte, damit ihr Vater, wenn das Glück ihm hold war, von dem Wein nippen konnte. Aber das Glück war ihm nicht hold gewesen, und sie ließen es, wie so oft schon, dabei bewenden.
Als William vor dem Schlafengehen in seinem Zimmer herumtrödelte, war es ihm unbehaglich. Nach dem Zwischenfall mit dem Wein hatte seine Mutter ihn vergessen. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er ihr dann von Ruth erzählt, oder konnte er behaupten, daß er es nicht getan hätte? Das ließ sich nun nie mehr feststellen.
Ruth lag wach – zum erstenmal in ihrem Leben. Sie lag ruhig da und staunte über sich. Sie empfand keinen Schmerz, keine Not und auch keine Erregung, aber sie konnte nicht aufhören, an den jungen Mann zu denken. Sie kannte nicht einmal seinen Namen. Sie hatten nicht danach gefragt, und er hatte ihn nicht genannt. Daran hatte sie in ihrer Benommenheit während des ganzen
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