Eine Mittelgewichts-Ehe
fühlten sich wieder imstande, sich fortzupflanzen.
Der Taxifahrer war eine Frau, die das englische Wort »dear« kannte. »Sagen Sie mir, wo Sie hingebracht werden wollen, dear«, sagte sie. Edith zeigte ihr die Adressen im Brief ihrer Mutter. Sie wollte ein Hotel, das in der Nähe des Belvedere lag; wichtiger noch, sie wollte wissen, wo der Sohn des Malers wohnte. Der Sohn hatte vor ein paar Jahren an einer amerikanischen Universität graduiert und war nach Wien zurückgekehrt, weil seine Mutter im Sterben lag; später erbte er alle Gemälde des Vaters. Er wollte sich gerade lange genug in Wien aufhalten, um an der Universität einen Abschluß zu machen, und so viele von den Gemälden verkaufen, wie er konnte. Er hatte einen sehr gebildeten und geistreichen Brief an das Museum of Modern Art geschrieben. Er hatte mit den Worten begonnen, die Leute vom Modern hätten vermutlich nie von seinem Vater gehört, was verzeihlich sei, denn er sei kein sehr bedeutender Maler gewesen und sie müßten nicht das Gefühl haben, etwas verpaßt zu haben. Der Sohn war siebenundzwanzig, fünf Jahre älter als Edith. Sie fand heraus, daß seine Wohnung zwei Blocks vom Belvedere entfernt lag.
Die Fahrerin brachte sie zu einem Hotel am Schwarzenbergplatz. Vor dem Hotel stellten Kellner große, rot-weiß-blaue Cinzano-Schirme für das Cafe auf. Es war immer noch zu frisch, um lange draußen zu sitzen; die Sonne war schwach, aber Edith hatte das Gefühl, sie komme zu früh zu einer Party, die noch in der Vorbereitungsphase war. Sie bedankte sich bei der Taxifahrerin, die sagte: »Okay, dear.«
Edith hatte noch etwas auf dem Herzen; sie wußte nicht, wie man den Vornamen des Sohnes aussprach. »Wie spricht man das aus?« fragte sie die Fahrerin und hielt ihr den Brief ihrer Mutter hin. Sie hatte den Namen unterstrichen: Severin Winter.
»Say-vah-rin«, flötete die Taxifahrerin.
Edith war überrascht, wie gern sie diesen Namen sagte. »Say-vah-rin«, sang sie in ihrem Hotelzimmer, während sie ein Bad nahm und sich umzog. Es lag immer noch Sonnenschein auf den Westfassaden der Gebäude am Schwarzenbergplatz. Hinter dem schäumenden Springbrunnen war das russische Kriegerdenkmal. Es war nicht mehr wie der Nachmittag des Tages, an dem ein Mann die Hand in ihr Haar gesteckt, »Ich liebe dich« gesagt hatte und dann in Tränen ausgebrochen war. Sie würde den beiden eines dieser überaus zarten Stücke Dresdner Porzellan schicken; sie ertappte sich bei einem Lächeln, als ihr einfiel, daß es vielleicht zerbrochen ankommen würde.
Sie zog eine seidige, schwarze, enganliegende Bluse und ein weiches, grau-blaues Kaschmirkostüm an. Sie schlang einen hellgrünen Schal zweimal um ein Handgelenk und verknotete ihn; sie machte solche Sachen und hatte damit Erfolg. »Say-vah-rin Vinter?« sagte sie mit ausgestreckter Hand, der helle Schal wie ein Angebinde.
Sie haßte das Telefon, also würde sie nicht anrufen; sie würde einfach einen Spaziergang machen und vorbeischauen. Sie versuchte, sich den Sohn eines unbedeutenden Künstlers vorzustellen. Sie hatte keine Ahnung, ob er sie zu einem Drink einladen, sie zum Essen ausführen, einen Opernbesuch vorschlagen oder einen Anruf machen würde, um sich nachts das Belvedere aufschließen zu lassen - oder ob er arm und linkisch sein würde und eigentlich sie anbieten sollte, ihn zum Essen auszuführen. Sie wußte nicht, ob sie smart und geschäftsmäßig auftreten und sagen sollte, sie sei im Auftrag des Museum of Modern Art nach Wien gekommen, das in Beantwortung von Herrn Winters Schreiben bezüglich der Gemälde seines Vaters ... oder ob sie zugeben sollte, wie inoffiziell ihr Besuch eigentlich war.
Sie war so froh gewesen, Paris zu verlassen, daß sie gar nicht darüber nachgedacht hatte, was sie hier wollte, und nun kamen ihr sogar Zweifel, ob sie richtig angezogen war. Sie zog kniehohe, glänzendgrüne Stiefel an und beschloß, es dabei zu belassen. Recht wenig Menschen in Paris kleideten sich so wie Edith, und sie nahm an, daß es in Wien niemand tat. Severin Winter war schließlich in Amerika gewesen. Edith dachte immer an New York, wenn sie an Amerika dachte. Sie wußte nicht, daß Severin Winter die meiste Zeit in Iowa gewesen und seine Zeit abwechselnd mit dem Tragen von Kopfhörern in einem Sprachlabor und dem Tragen von Ohrenschützern auf einer Ringermatte zugebracht hatte (aus diesen und aus genetischen Gründen lagen seine Ohren flach am Kopf an).
»Say-vah-rin«, sagte sie wieder,
Weitere Kostenlose Bücher