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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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entsprach. Frau Reiner hat für eine Menge Leute Modell gestanden - allerdings nicht für so viele wie meine Mutter -, aber sie hat es immer bedauert, daß sie nur ein Kindermodell sein konnte, als Schiele und Klimt noch lebten.«
    Frau Reiner sagte etwas, und Severin sagte: »Sie gibt zu, daß sie nie für Klimt Modell gestanden hat.«
    Frau Reiner sagte noch etwas.
    »Aber sie behauptet, er habe einmal mit ihr gesprochen«, flüsterte Severin Edith zu. »Das könnte stimmen, aber sie war wohl kaum alt genug, um sich daran zu erinnern.«
    Edith war erstaunt, wie nahe er an sie heranrückte, wenn er sprach. Er konnte nicht reden, ohne einen anzufassen, zu drücken und sehr nahe zu kommen, aber sie fand, daß das nichts Verstohlenes oder Sexuelles hatte. Sie bemerkte, daß er auch die beiden alten C etnici anfaßte, wenn er mit ihnen sprach.
    Das stimmt: Severin konnte von niemandem, mit dem er sprach, die Finger lassen. Später ärgerte es mich, wie er an Utsch herummachte - ich meine, in der Öffentlichkeit, auf großen Partys. Er traktierte sie förmlich im Gespräch. Natürlich waren Edith und ich diskreter. Aber ich gebe zu, daß Severin auch mich im Gespräch traktierte. Ständig lag ein Arm um einen, oder er packte einen am Handgelenk und drückte es zwischen den Sätzen. Manchmal zwickte er; ich weiß sogar noch, daß er meinen Bart anzufassen pflegte. Aber das war einfach so eine Art, Teil seines ruhelosen In-Bewegung-Seins. Ich glaube, ich bin nicht Ediths Meinung, daß er unbefangen war - ob er es nun wirklich war oder ob er so befangen gewesen sein mochte, daß man annahm, niemand könne derart befangen sein, und entschied, daß er vollkommen natürlich war.
    Wie dem auch sei, er kam Edith wie ein freundliches Tier vor. Wenn er redete, wirkte er viel älter, und wenn er lächelte, stellte sie fest, daß sie seine Jungenhaftigkeit mochte.
    Ich glaube, wenn wir Leute kennenlernen, können wir sie sofort mögen, wenn wir sehen, wie sehr ihre Freunde sie mögen. Am meisten, sagte Edith, sei ihr aufgefallen, wie sehr Frau Reiner und die beiden C etnici Severin anbeteten.
    »Aber ich hätte ihn sowieso gern gehabt«, sagte mir Edith, »weil er der erste Mann war, der mich locker behandelte. Ich meine, er war komisch. Er war auch nicht die Sorte schrecklicher Komiker, die versucht, alles zu verulken. Er war ein reiner Komiker. Er fand einfach das komische Element in den meisten Dingen - sogar bei mir, und ich nahm mich natürlich sehr ernst.«
    Nun ja, ich will nicht mit Haarspaltereien anfangen. Ich glaube, was Edith eigentlich berührte, ist das, was jeden von uns berühren kann: sie entdeckte die Eifersucht.
    Sie gingen in ein serbisches Restaurant, wo alle Welt wußte, daß Vaso und Zivan Helden waren, ihnen auf die Schulter klopfte und sie mit Selleriestengeln bewarf und wo Edith und Severin und Frau Reiner selbst als halbe Helden behandelt wurden. Es gab marternde Musik von Saiteninstrumenten, zuviel Gewürz in allem und zuviel von allem, aber Edith amüsierte sich prächtig.
    Severin Winter erzählte ihr Geschichten von seiner Mutter und seinem Vater (ich bin sicher, die Tiergarten-Phantasie durfte dabei nicht fehlen); er erzählte ihr Geschichten von Zivans und Vasos Flucht aus Jugoslawien; er erzählte ihr Geschichten über Frau Reiner, als sie das schärfste Modell in der Stadt war (Edith glaubte es allmählich). »Sie lernte alles, was sie wußte, von meiner Mutter«, sagte Severin. Und er erzählte ihr, daß das »I« auf seinem Jackett für Iowa stand und daß das Höchste, was er bei einem größeren Wettkampf oder einer Landesmeisterschaft je erreicht hatte, ein zweiter Platz in der Klasse bis 71 Kilo bei den Big Ten war.
    »Was wiegen Sie jetzt?« fragte Edith. Er sah soviel größer aus, obwohl er in jenen Tagen schlank war.
    »Zweiundsiebzig«, sagte er. Sie war sich nicht sicher, ob das ein Scherz war. Bei ihm wußte man nie.
    Dann beugte er sich über den Tisch und sagte: »Morgen früh also? Wir besuchen das Belvedere, ich nehme Sie in ein paar Wohnungen mit - alte Freunde meiner Eltern haben ein paar von den besten. Ich glaube nicht, daß mein Vater je so ein verdammtes Ding verkauft hat; zumindest hat er kein Geld gemacht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß Sie hergekommen sind.« Edith betrachtete seine Augen, sein Haar, diesen einen, eigenartigen Zahn. »Ich möchte schrecklich gern aus Europa weg«, sagte er ihr. »Alles und jeder stirbt hier. Ich will sehr gern nach

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