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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verblüffend waren wie ihr Äußeres. Ihre Namen waren wie etwas auf einer Speisekarte, das unberaten zu bestellen man sich nicht trauen würde. Sie waren Mitte Sechzig und sahen aus wie Spione oder Gangster oder pensionierte Preisboxer, die öfter verloren als gewonnen hatten. Edith wußte damals nicht, daß sie wie liebevolle Onkel zu Severin Winter waren. Es waren Zivan Knesevi c und Vaso Trivanovi c, alte C etnic-Freiheitskämpfer, die am Ende des jugoslawischen Bürgerkriegs vor Tito und den Partisanen geflohen waren; wie viele andere hatten sie gefunden, daß Wien dem Osten nahe war. Sie hatten ebensoviel mit Severin Winters Aufzucht zu tun gehabt wie Katrina Marek. Sie hatten ihm beigebracht, wie man rang; sie hatten ihm gesagt, er solle nach Amerika ringen gehen und eines Tages die Russen besiegen. Sie waren ehemalige Mitglieder der jugoslawischen Freistilringermannschaft. Vaso Trivanovi c hatte 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin eine Bronzemedaille gewonnen; Zivan Knesevi c war fast genauso gut gewesen.
    Wie zwei alte, der Rüstung entstiegene Ritter küßten Vaso und Zivan Edith die Hand. Aber Frau Reiner hielt die Hand hoch; verschwommen begriff Edith, daß sie sie küssen sollte, und sie tat es. Die Hand war die reinste Schmuckschatulle, voller Ringe; das Parfüm, stellte Edith mit Entsetzen fest, war das gleiche wie ihres. Einer ihrer Geschmäcker mußte fragwürdig sein.
    Und um einen schweren Hartholztisch mit einem großen Keramikschachbrett in der Mitte bewegte sich ruhelos Severin Winter mit der Anmut und Schnellkraft eines bizarr muskelbepackten Wildes. »Nehmen Sie etwas Kremser Schmidt?« fragte er Edith. »Oder ein Bier?«
    Sie mochte kein Bier, und Kremser Schmidt hörte sich für sie nach einer Art Wurst an, aber sie traute sich und stellte zu ihrer Erleichterung fest, daß es ein schön gekühlter und anständiger Weißwein war.
    Die alten C etnici quasselten auf serbokroatisch aufeinander ein. Sogar Edith erkannte, daß ihr Deutsch holprig war; einer von ihnen war leicht taub und mußte angebrüllt werden. Frau Reiner schenkte Edith ein riesiges Lächeln, als sei sie eine Vorspeise. Ihr war am wohlsten, wenn sie Severin ansah, der sich in bezug auf seine Freunde in ihren Augen radikal veränderte. Er wirkte wie ihr Herzensprinz; sie hatte noch nie jemand weniger Unbefangenen gesehen. Ein schrecklicher Plattenspieler spielte Mozart, und Severin konnte nicht stillsitzen; er wiegte sich auf seinem Stuhl; er warf den Kopf hoch. Warum trägt er dieses fürchterliche Jackett, dachte Edith, die sich vorstellte, er habe Narben auf den Armen.
    Frau Reiner stellte Severin eine Frage nach der anderen, die er Edith übersetzte. »Frau Reiner meint, daß Sie dieses Cape niemals in Wien bekommen haben«, sagte er.
    »Ich habe es in Paris bekommen«, sagte ihm Edith, und Frau Reiner nickte.
    »Und Ihre Stiefel könnten nur aus New York sein?« Wieder richtig.
    Keines der Colleges, die Edith einfielen, begann mit einem protzigen gelben »I«.
    Irgendwie gingen sie alle zusammen aus. Edith dachte, sie müßten wie eine Zirkusnummer aussehen. Die beiden alten Ringer in ihren dunklen Geheimagentenanzügen und der Sorte Trenchcoats, in denen man Waffen verbergen kann; wie die alten SportlerKindsköpfe, die sie immer noch waren, rempelten und schubsten und knufften sie einander beim Gehen. Frau Reiner nahm Severins Arm zu seiner Rechten, und Edith sah sich ganz natürlich seinen linken festhalten. Er führte sie zweisprachig dahin. Er sagte etwa zu Edith: »Schiele hat hier gelegentlich gern zu Mittag gegessen«, und Frau Reiner hakte beim dem Wort Schiele ein und summte ihm ihr volltönendes Deutsch ins Ohr.
    »Sie sagt«, meinte Severin zu Edith, »daß sie für Schiele in seinem letzten Lebensjahr als Kind Modell gestanden hat.«
    »Er ist schon mit achtundzwanzig gestorben«, äußerte Edith und kam sich dann wie eine Närrin vor, weil er sie ansah, als habe sie gerade gesagt: »Wenn es regnet, wird es naß.«
    »Aber ich glaube es nicht, und das sollten Sie auch nicht.«
    »Was? Keine achtundzwanzig? Er ist nicht gestorben?«
    »Ich glaube nicht, daß Frau Reiner je als Kind für ihn Modell gestanden hat. Es existiert kein Gemälde und keine Zeichnung von ihr unter Schieles Skizzenbüchern und unvollendeten Gemälden, und alles, was er in diesem letzten Jahr gemalt hat, ist sorgfältig durchgesehen worden. Außer es war etwas so Schlechtes, daß er es vernichtet hat, was nicht seiner Gewohnheit

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