Eine Nacht in Bari
ihrem Laden raucht, ohne sich um die Verordnungen zu scheren, und die einen von Zeit zu Zeit freundlich ansieht. Sie wirkt zufrieden inmitten ihrer Bücher, unabhängig davon, ob man eines kauft oder nicht. Sie erinnert mich in gewisser Weise an die erste Buchhandlung meines Lebens.
Diese Buchhandlung gehörte einem Cousin meines Vaters. Franco war Vertreter für Schulbücher gewesen und seit vielen Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei. Seine Buchhandlung lag in der Via Roberto da Bari, sechs Querstraßen von unserer Wohnung entfernt, und hieß »Rinascita« wie das Parteiorgan. Eines Nachmittags, als ich zehn Jahre alt war, nahm mein Vater mich in die Buchhandlung mit. Franco hatte einen dunklen Teint,
tiefe Augenringe und einen sanften, ein wenig melancholischen Gesichtsausdruck.
»Magst du Bücher?«, fragte er mich, vielleicht, weil ich mich so interessiert umsah.
Ob ich Bücher mochte? Ich hatte mit sieben Jahren lesen gelernt und kurz darauf verkündet, dass ich Schriftsteller werden würde. Bücher gehörten zu den Dingen, die ich am allermeisten mochte, zusammen mit einigen Spielsachen (Technik-Baukasten, Lego und Subbuteo, um es genau zu sagen), mit einigen Comic-Heften (Alan Ford, Spiderman und Tex Willer, auch dies aus Gründen der Vollständigkeit) und vor allem einem wunderbaren Mädchen namens Laura.
Ich nannte ihm diese Details jedoch nicht. Vor allem die Sache mit Laura hätte ich nie jemandem verraten. Aber ich sagte in feierlichem Ton, dass ich Bücher sehr gern mochte.
»Dann komm doch vorbei, wann immer du Lust hast. Du kannst dir ein Buch aussuchen, dich dort hinsetzen« – er zeigte auf einen Stuhl neben der Kasse – »und einfach darin lesen. Das kostet dich gar nichts.«
Umsonst lesen? Das ist bestimmt ein Trick, dachte ich. Irgendetwas stimmte da nicht, aber ich kam nicht dahinter, was es genau war. Ich sah Franco an und erwartete, dass er jeden Moment sagen würde: »Kleiner Scherz, haha. Natürlich habe ich keine Lust, kleine Jungs hier herumlungern zu sehen, die auch noch gratis lesen, während ich schufte.« Aber Franco sagte nichts. Und so blickte ich meinen Vater an, der sicherlich in meinem Namen sagen würde: »Nein danke, wir wollen keine Umstände
machen«, oder etwas in der Art. Aber auch er sagte nichts, und so einigten wir uns darauf, dass ich am folgenden Nachmittag allein wiederkommen würde. Um gratis lesen zu dürfen.
Wenige Male in meinem Leben habe ich mich so privilegiert gefühlt wie an jenen Nachmittagen in der kleinen Rinascita-Buchhandlung. Ich kam meist gegen halb sechs, wenn ich mit den Hausaufgaben fertig war (oder zumindest so tat), begrüßte Franco, der melancholisch zurückgrüßte, und mich dann mit einer Handbewegung zu den Büchern schickte. Als wolle er noch einmal wiederholen: Such dir was aus und lies ruhig. Es kostet dich keinen Cent.
Und ich suchte aus, nach Herzenslust, während ich unter den Postern von Che Guevara und Angela Davis durch die Tische und Regale streifte. Ich weiß nicht mehr, was ich an diesen Nachmittagen alles las, allein neben der Kasse sitzend, umgeben von stapelweise aufgetürmten Editori-Riuniti-Titeln, und von Zeit zu Zeit aufblickend, wenn die anderen – die gewöhnlichen Menschen – hereinkamen, ihre Auswahl trafen und bezahlten. Sicher ist, dass ich Mafalda las, den Zauberer von Oz , die Romane von Edgar Rice Burroughs, die Geschichten von Sherlock Holmes , Maigret , Doktor Doolittle , Andy Capp , die Gruselgeschichten von Edgar Allan Poe, Jerome K. Jerome. An die anderen erinnere ich mich nicht mehr.
Als wäre das nicht genug, fragte mich Franco nach eineinhalb Stunden immer erst einmal, was ich denn lese, und dann, ob ich vielleicht eine Schokolade wollte.
Das erste Mal, als das geschah, dachte ich, er meinte
ein Stück Schokolade, und sagte ja, danke. Die häuslichen Erziehungsregeln – die meines Elternhauses zumindest – erlaubten es, Bonbons oder Schokolade anzunehmen, keinesfalls jedoch durften wir uns etwas in einer Bar spendieren lassen. Das tat man nicht, warum, weiß ich bis heute nicht.
Franco holte jedoch keine Schokoladentafel hervor. Stattdessen nahm er das Telefon, rief die Konditorei Stoppani an (ein historisches Etablissement, das unglaublicherweise bis heute existiert und das man unbedingt aufsuchen sollte, wenn man in Bari ist) und bestellte eine heiße Schokolade und einen Kaffee.
Zu diesem Vorfall muss man wissen, dass Schokolade, ganz gleich welcher Temperatur, von meiner Mutter
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