Eine Nacht ist nicht genug
gar keine Zeit gewesen.
Irgendwann hatte Luca den Ring abgenommen und die helle Stelle von der Sonne bräunen lassen. Doch noch immer ließ ihn die Erinnerung nicht los und schärfte ihm ein, dass er sich um keinen Preis an jemanden binden durfte.
„Was macht dein Unternehmen?“, wollte Emily wissen.
„Wir sind auf Hedge-Fonds spezialisiert“, erwiderte Luca, der sie nicht mit detaillierten Schilderungen langweilen wollte.
„Und du gehst gern in die Oper?“
„Natürlich – ich bin schließlich Italiener.“
„So italienisch klingst du gar nicht!“
„Das ist der Fluch meiner Schulbildung: Ich bin mit sieben auf ein Internat in England gekommen. Die Liebe zur Oper habe ich vermutlich von meiner Mutter.“ Da sich mit dieser weitere schmerzliche Erinnerungen verbanden, brachte Luca das Gespräch wieder auf Emily. „Gefällt dir Italien?“, erkundigte er sich und brauchte ihre Antwort gar nicht abzuwarten, so sehr strahlte sie. „Du bist das erste Mal hier, stimmt’s? Ist es so schön, wie du es dir erhofft hast?“
„Sogar noch schöner!“
Wieder strahlte sie diese aufrichtige, warme Begeisterung aus. Am Vorabend war sie zuerst verärgert gewesen, doch davon war nichts mehr zu spüren: Nun war da nur noch der Wunsch, den Moment zu genießen, auf den sie offenbar schon eine ganze Weile wartete. Luca fand Emilys unkomplizierte, frische Ausstrahlung äußerst verlockend.
„Schmeckt dir das italienische Essen?“
Sie nickte.
„Hast du schon ortstypische Spezialitäten probiert?“
Vermutlich nicht, dachte er, als sie ihn unsicher ansah. Sicher musste sie sehr aufs Geld achten. Doch in dieser Hinsicht konnte er ihr heute helfen. „Italienische Küche ist mehr als Büffelmilch-Mozzarella und getrocknete Tomaten.“
Emily zog einen Schmollmund. „Aber ich liebe das beides!“
Luca lachte leise. „Lass uns trotzdem ein paar andere Sachen zusammen probieren.“
Er nahm sich den Korb vor, der lauter kleine Gefäße mit unterschiedlichen Speisen enthielt: einfache Snacks wie Oliven, aber auch kleine Portionen aufwendiger Gerichte. Luca breitete das Essen vor Emily aus, erklärte ihr, woher das jeweilige Gericht stammte, und ließ sie die italienischen Namen nachsprechen. Dann sah er zu, wie sie alles probierte, bevor er sich selbst davon nahm. Und die ganze Zeit über wurde sein Appetit immer stärker.
Zufrieden leckte Emily sich nach den paradiesischen Köstlichkeiten das aromatische Öl von den Lippen. Normalerweise wäre sie nach einem solch üppigen Mahl im warmen Schatten der Bäume müde geworden, doch nun, da Luca so nahe neben ihr lag, war alles anders.
Er hatte sich auf der Decke ausgestreckt und stützte sich entspannt auf einen Ellenbogen. Emily betrachtete seinen athletischen Körper und hätte ihn am liebsten berührt. Um ihre Hände zu beschäftigen, nahm sie sich einen Grissino.
„Erzähl mir ein bisschen über dein Leben“, forderte Luca sie auf.
Emily kräuselte die Nase. „Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen“, erwiderte sie. Zumindest nichts Glamouröses oder Spannendes.
„Wo wohnen deine Eltern?“
Der Schatten, der ihr Herz erfüllte, spiegelte sich wohl auch auf ihrem Gesicht, denn Luca sagte: „Es tut mir leid. Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“
„Natürlich“, erwiderte Emily und lächelte, um den Schmerz zu vertreiben. „Es ist schon lange her.“ Gedankenverloren brach sie den Grissino in der Mitte durch und zerbrach dann die beiden Hälften. „Mum kam bei einem Autounfall ums Leben, als ich fünfzehn war. Danach ging es mit Dad stetig bergab: Er fing an zu trinken, rauchte viel und aß nicht mehr.“ Sie ließ den Blick zu den Bäumen gleiten und fügte hinzu: „Ich glaube, dass ihm mit Mum auch jeglicher Lebenswille verloren gegangen war.“
„Obwohl er zwei wunderschöne Töchter hatte, um die er sich kümmern musste?“, fragte Luca.
Emily konnte den leichten Vorwurf gut nachvollziehen, der in seiner Stimme mitschwang, denn manchmal hatte sie ähnliche Gedanken gehabt. Doch sie kannte die ganze Wahrheit und wusste, dass die Dinge nie ganz schwarz oder weiß waren. Es gab immer auch unterschiedliche Grau-Schattierungen.
„Er hatte am Steuer gesessen, Luca. Und mit dieser Schuld ist er nie fertig geworden.“ Sie setzte sich auf ihre Hände und ließ den Blick die sanft abfallende Schräge hinunter zu den Zypressen gleiten. „Zwei Jahre später ist er gestorben.“
Zwei Jahre, in denen sie alles versucht hatte, damit
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