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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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jetzt ein wenig verlegen angesichts der weiteren schwarz umrandeten Anzeige. Denn wie kann man an Frumas Brüste denken, die wie Selbstmörder über ihrem Nabel baumeln – ganz, ganz helle Haut, Nippel wie die des Etrogs –, während Jakob Markowitz immer mehr verschwindet, immer mehr von jetzt nach einst rückt. Aber interessant, wann Jakob Markowitz wohl das letzte Mal Brüste berührt hat, wenn überhaupt je.
    Nicht schön, so an Jakob Markowitz zu denken, aber auch nicht schön, so aufdringlich viele Todesanzeigen in einer einzigen kleinen Straße anzubringen. Jemand hat zu gute Arbeit geleistet. Und plötzlich versetzt es ihm einen Stich ins Herz: vielleicht Jakob Markowitz’ Enkel, so er welche hatte. Vielleicht haben sie, schuldgeplagt, die lebendige Straße mit ihrem toten Großvater gepflastert. Nie im Leben sind sie den ewig langen Kilometer von seinem Haus zum Park mit ihm gegangen, doch nun haben sie genau denselben Weg zurückgelegt, um ihm alle paar Meter Denkmäler aus Papier und Klebstreifen zu errichten. Vor der nächsten Anzeige bleibt Jehuda Grünberg stehen und liest sie aufmerksam: Drei Enkel hatte Jakob Markowitz. Und doch ist klar, dass sie nicht selbst dieses Werk vollbracht haben. Diese Arbeit ist zu langweilig für Jugendliche, zu ermüdend für ihre Eltern. Ein gleichgültiger Bote, der schnell fertig werden wollte, hat Jakob Markowitz’ Straße mit Todesanzeigen vollgeklebt, um sich seiner Pflicht zu entledigen.
    Zum Beweis braucht man nur in die Nebenstraßen einzubiegen, dort sind die Gartenzäune tatsächlich frei vom Gedenken an Jakob Markowitz, und am Schwarzen Brett bietet nur eine Zwölfjährige an, auf Kinder aufzupassen, und das Kulturzentrum verkündet die Gründung einer Volkstanzgruppe. Das Mopedgeknatter des Boten dröhnt Jehuda Grünberg in den Ohren, während der ins nächste Viertel braust, einen Stapel anderer Anzeigen im Gepäckkasten. Bei dem Motorenlärm kann Jehuda Grünberg sich nur ängstlich an Frumas Brüste halten, die Etrog-Nippel, den süßen Geruch nach Schweiß und Parfüm, unter dem ein anderer Geruch lauert, der Geruch des verdorrenden Leibes.
    Jehuda Grünbergs Angst wäre vielleicht etwas geschwunden, hätte er gewusst, dass Jakob Markowitz am Morgen seines Todes mit einem Lied auf den Lippen aufgewacht ist. Seine Nase wittert den Brotgeruch auf dem ganzen Weg nach unten, auf der Treppe oder im Fahrstuhl, den sie endlich eingebaut haben, und von dort die Straße entlang, drei Häuser bis zum Ziel, bis zum Lebensmittelladen. Trotz des Rheumas und des kalten Fußbodens ist er aus dem Bett gestiegen, ist doch hochgekommen, halleluja, und hat sich angezogen. Hat die Zähne geputzt, sorgsam bedacht, keinen Blick in den Spiegel zu werfen. Im Fahrstuhl, auf dem Weg nach unten, dankt Jakob Markowitz für dieses Wunder: Eine kleine Zelle hüllt ihn ein wie ein Mutterschoß, und da hängt Jakob Markowitz auch schon in der Luft, wird von Stahlseilen sacht ins Erdgeschoss abgesenkt.
    Jetzt die Straße. Es ist wärmer als gestern. Im Winter kann man sich nicht täuschen, aber der Sommer ist trügerisch. Jakob Markowitz schleppt sich die Straße hoch, noch zwei Häuser und fertig. Unterwegs fällt ihm ein Satz ein, den er einmal aus der Wochenendzeitung ausgeschnitten hat: »Die Kirschblüte symbolisiert nicht den Frühling, die Kirschblüte ist der Frühling.« Obwohl er ihn nicht verstanden hat, hat er ihn mit einem Magneten an den Kühlschrank geheftet.
    Die Kühlschranktür liebt er mehr als alles andere im Haus. Eine neben der anderen hat er dort knappe Weisheiten angeheftet, Worte, die er mit großer Mühe aus Büchern, Zeitungen, Politikerreden gepickt hat. Worte, die nicht gelesen werden, verlieren ihren Sinn, ein Baum, der mitten im Wald umfällt, verfault ungesehen. Der Kühlschrank jedoch – welch rosige Frische, welch unaufhörlicher Reigentanz: Wenn man die Milch für den Frühstückskaffee herausholt oder die Einkäufe einräumt oder noch einen Teelöffel Marmelade vor dem Mittagessen stibitzt, bleibt das Auge jedes Mal an einer Zeile hängen. Mal Ben Gurion, mal Weizmann, mal verputzt man ein ganzes Glas saure Gurken vor Jabotinskys Zornausbrüchen.
    Endlich ist er im Lebensmittelladen angelangt. Das Radio brummt ihm einen Willkommensgruß. Hinten packt der Verkäufer Kisten aus. Obwohl Markowitz weiß, was er will, sieht er sich um. Die bunten Verpackungen der Süßigkeiten umringen ihn von allen Seiten. Rot und Grün und Gelb und Blau, geradezu

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