Eine Nacht, Markowitz
Nacht werden wir zusammen schlafen wie Mann und Frau.« Jakob Markowitz antwortete nicht. Auf diese Gnade, die sie ihm erwies, hatte er nichts zu erwidern.
8
D ie ganze Nacht lag Sonias Hand in Seev Feinbergs, seine großen, warmen Finger umschlossen sie wie ein Knäuel. Und die ganze Nacht gab Seev Feinbergs Hand von Zeit zu Zeit Schweiß ab, bedeckte Sonias Finger mit salzigem Nass und wurde abrupt wieder trocken. Falls Sonia die schluchzende Hand spürte, so sagte sie es nicht. Ihre Hand lag reglos da, ungerührt über die Gezeiten von Seev Feinbergs Schweiß. Seev Feinberg weinte mit den Händen, und Sonias Hände blieben stumm. Diese unbesiegbare Frau verzog sich in einen inneren Keller und verschloss die Tür. Ein Orkan toste auf das Haus zu. Der Sturm brauste ihr in den Ohren. Jetzt konnte sie nur abwarten, bis er vorüber war, still warten, ohne sich zu bewegen, tief im Keller. Wenn alles vorbei war, wenn das Brausen abzog, um andere Häuser zu befallen, würde sie leise die Tür aufmachen und nachsehen, was der Sturm ihr gelassen und was er mitgenommen hatte.
Um drei Uhr vierzig in der Früh, zu der Zeit, als Bella Markowitz zwischen die Laken ihres Mannes schlüpfte, flehte Sonia Feinberg die Sonne an, ihren Aufgang zu verschieben. Der Krankenhausflur war von den gleißenden Neonröhren ständig taghell erleuchtet, Sonia warf jedoch einen ängstlichen Seitenblick auf die schwächelnde Dunkelheit vorm Fenster. Bald würde die Sonne aufgehen und die Botschaften eines neuen Tages mitbringen. Das Kind würde nicht nachtsüber sterben, dessen war sie sich sicher. Aber am Morgen, am Morgen würde sie die Kellertür aufmachen und nachsehen müssen, ob das Haus darüber noch stand oder ob der Sturm es hinweggefegt und sie in den Trümmern zurückgelassen hatte. Deshalb redete sie tonlos mit der Sonne, in der Sternensprache, und sagte ihr, langsamer bitte, langsam. Genau zur selben Zeit lag Jakob Markowitz in seinem Bett, das zum ersten Mal in seinem Leben auch Bella Markowitz’ Bett war, und flehte ebenfalls: langsamer bitte, langsam. Und die Sonne, von der ahnungslose Wissenschaftler hartnäckig behaupten, sie sei nichts als ein Gemisch aus Wasserstoff und Helium, konnte sich solchem Flehen nun doch nicht entziehen. Denn die Sonne – sollen die Wissenschaftler sagen, was sie wollen – liebt die Menschen von ganzem Herzen, so weit die Entfernung es erlaubt. Sonst würde sie sie nicht Tag und Nacht so fürsorglich umkreisen wie eine gute Mutter. Und auch, wenn die ahnungslosen Wissenschaftler erklären, dass sie nicht die Menschen umkreist, sondern diese sie, und – schlimmer noch – dass diese Umlaufbahn nichts mit Liebe und Sorge zu tun habe, sondern allein auf physikalischen Gesetzen beruhe, so können diese Behauptungen keinen Augenblick das erschüttern, was das Auge sieht und das Herz weiß.
Und tatsächlich, die Zeitungsboten spähten verblüfft zum versiegelten Horizont. Bäcker hoben die Köpfe und sahen überrascht aus den dunklen Fenstern. Hähne scharrten mit den Krallen und ließen den Schrei im Schnabel stecken. Bauern drehten sich in ihren Betten um und träumten genüsslich noch einen Traum. Denn die Sonne gab, obwohl es ihr große Leiden bereitete und eine erhebliche Verschiebung im Terminkalender nach sich zog, Sonia Feinbergs und Jakob Markowitz’ Flehen nach und schenkte ihnen volle zwanzig Minuten. In diesen zwanzig Minuten lag Jakob Markowitz mit offenen Augen da, füllte seine Lungen mit dem Atemhauch der Frau neben sich. In diesen zwanzig Minuten saß Sonia Feinberg aufrecht, die Hand in Seev Feinbergs Hand, und rührte sich nicht. Aber als die zwanzigste Minute ihrem Ende zuging, wusste die Sonne, dass es kein Verweilen mehr gab. Sosehr es ihr auch leidtat um den Mann, der im Bett lag, und um die Mutter, die um ihren Sohn bangte, so standen dem Wohl dieser beiden doch Millionen andere Menschen gegenüber, die arbeiten und lieben und essen und sorgen und lachen mussten, und noch viele andere Dinge, für die der Sonnenaufgang gut ist. Deshalb beschien um sechs Uhr zwanzig, geschlagene zwanzig Minuten später als erwartet, der erste Sonnenstrahl die Moschawa und die Jesreelebene, die Orangenhaine und die Betonfelder der Stadt, das leere Haus von Sonia und Seev Feinberg und das Haus von Jakob und Bella Markowitz, das noch nie so voll gewesen war.
Von drei Uhr vierzig bis sechs Uhr zwanzig hatten Jakob und Bella Markowitz eng umschlungen auf dem Sofa gelegen. Jakob Markowitz hatte
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