Eine private Affaere
schlank und drahtig war, stieg als erster aus. George ließ sich Zeit und tauchte noch einmal mit dem Kopf in den Wagen, um seinen Filzhut und seinen Tabak herauszuholen. Ich erinnerte mich, daß er im Zeugenstand genauso bedächtig war. Seine braunen Ledertreter knirschten den kurzen Weg zu meinem Haus herauf, und ich stand bereits an der Tür, als er klingelte.
»Hab’s dir doch gesagt, gegen den Kerl hat man keine Chance.« George schob den Filzhut aus der Stirn. »Er ist immer zehn Schritte voraus.«
»Stimmt das?« fragte Vincent.
»Ist sogar noch untertrieben. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft er mich früher im Zeugenstand auseinandergenommen hat. Nach zehn Minuten hab’ ich nicht mehr gewußt, ob ich ein Mitangeklagter oder die tea lady bin. Wie geht’s, James, mein Junge – darf ich Sie noch so nennen? Schön, Sie zu sehen.«
Wir schüttelten uns lächelnd die Hände, und ich führte sie in das Arbeitszimmer, das ich durch die Herausnahme einer Wand zwischen zwei Räumen vergrößert hatte. George stieß einen Pfiff aus.
»Alle Achtung. Sie haben sich ganz schön gemacht seit Billaricay Magistrates Court.«
In dem Raum befanden sich eine teure Van-Gogh-Kopie von einem Exsträfling, der berühmt geworden war, ein paar Ledermöbel und ein alter Schreibtisch, auf den ich stolz war – allerdings bezweifelte ich, daß diese Dinge oder auch die Dokumente und aufgeschlagenen Bücher, die überall herumlagen, George beeindruckten. Wie üblich arbeitete ich am Sonntag. Ich schaltete den Computer aus.
»Einen Drink, Freunde? Scotch, Bier, Cognac, Sherry?«
George stupste Vincent an. »Schlau, was? Sehr subtil. Er möchte rausfinden, ob wir im Dienst sind oder nicht.« George zwinkerte mir zu. »Vincent, ich würde sagen, unter den gegebenen Umständen müßtest du eigentlich einen Drink nehmen – sonst verrätst du zuviel.«
»Nein, nein, danke.«
George entschied sich für einen starken Scotch mit Soda. Ich schenkte mir einen großen Armagnac ein und beobachtete sie über den Rand meines Glases hinweg. Plötzlich war es heraus.
»Eigentlich bin ich froh, daß Sie gekommen sind. Ich möchte den Mord an Oliver Thirst gestehen.«
Vincent blinzelte, und George starrte mich plötzlich mit einem Gesicht an, das er normalerweise niemandem zeigte, ein häßliches Gesicht. Doch er fing sich bereits nach ein paar Sekunden wieder und begann, in seiner Tasche herumzukramen.
»Was ist los, George?« fragte ich.
»Scheiße.«
Er suchte noch ein bißchen weiter. »Hab’ vergessen, die Handschellen mitzubringen – hast du Handschellen dabei, Vincent?«
Vincent weigerte sich, das Spiel mitzuspielen.
»Tja, das wär’s wohl. Ich kann Sie nicht festnehmen, mein Alter, hab’ keine Handschellen. Aber sagen Sie uns doch: Wie haben Sie Oliver Thirst getötet?«
»Langsam, jeden Tag, die letzten acht Jahre.«
George entspannte sich erleichtert.
Ich sagte: »Tut mir leid, das hätte ich nicht machen sollen. Ich weiß, Sie sind nur hier, um mich über Thirst zu fragen, Sie tun nur Ihre Arbeit – ich weiß es zu schätzen, daß ich es mit Ihnen zu tun habe und nicht mit irgendeinem cleveren Greenhorn, das sich seine Sporen noch verdienen muß – aber der Gedanke schmerzt mich immer noch. Sogar sehr. Nachdem George mich heute morgen angerufen hatte, habe ich eine kurze schriftliche Erklärung vorbereitet. Anhand der Zeitungsartikel habe ich die ungefähre Todeszeit errechnet, deshalb finden Sie der Erklärung beigefügt die Namen, Adressen und Telefonnummern aller Leute, mit denen ich in der entsprechenden Zeit zusammen war. Einen Namen habe ich nicht notiert, weil er vertraulich bleiben soll. Am späteren Abend war ich mit einem Exmandanten zusammen, der sich über eine lebenslange Manipulations- und Korruptionsgeschichte mit einem höheren Polizeibeamten beklagen wollte. Natürlich habe ich ihm den Rat gegeben, sich an die Beschwerdestelle der Polizei zu wenden. Eine Kopie meiner Erklärung habe ich per Post meinem Anwalt geschickt.«
Ich holte zwei Ausfertigungen des getippten Manuskripts vom Schreibtisch, steckte sie in zwei transparente Plastikhüllen und gab jedem eine.
George wich meinem Blick aus, als ich ihm die seine reichte. »Macht’s Ihnen was aus, wenn ich das jetzt lese?«
Ich zuckte mit den Achseln. Er nahm bedächtig eine Brille aus der Tasche und begann zu lesen. Konzentration und Brille ließen sein Gesicht grimmig erscheinen.
»Habe Thirst zum erstenmal am 15. Juni 1976 im Tower Bridge
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