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Eine schwimmende Stadt

Eine schwimmende Stadt

Titel: Eine schwimmende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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allezeit leichtgläubige Actionäre finden, auch wenn ihre fingirten Gesellschaften die wunderbarsten Namen führen, wie: »Oceanische Gesellschaft für Gaserleuchtung in Polynesien«, oder »Allgemeine Gesellschaft für unverbrennbare Kohlen«.
    In diesem Augenblick wurde meine Aufmerksamkeit von einem jungen Paare angezogen, das augenscheinlich unter dem Eindruck der größten Langeweile zu stehen schien.
    »Peruaner, lieber Herr, erklärte mein Cicerone, die jungen Leute sind seit einem Jahre verheiratet und haben seitdem ihr Eheglück in aller Herren Länder spazieren geführt. Sie verließen am Hochzeitsabend Lima, haben sich dann in Japan angebetet und vergöttert, in Australien geliebt, in Frankreich ertragen, in England gestritten und werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach in Amerika scheiden lassen.
    – Und wer ist jener schlank gewachsene Mann mit dem etwas hochmüthigen Gesicht, der gerade jetzt eintritt? Nach seinem kühn gedrehten Schnurrbart würde ich ihn für einen Officier halten.
    – Er ist Mormone, antwortete der Doctor, ein Elder, Mr. Hatch, und Prediger in der Stadt der Heiligen. Welch schöner Menschenschlag! Sehen Sie das stolze Auge, die edle Physiognomie, und vergleichen Sie seine prächtige Haltung mit dem Gebahren dieser Yankees. Mr. Hatch kommt aus Deutschland und England zurück, wo er den Mormonismus mit Erfolg gepredigt hat; die Secte hat in Europa eine große Zahl Anhänger, denen sie gestattet, nach den Gesetzen ihres Landes zu leben.
    – Jedenfalls ist ihnen in Europa die Polygamie untersagt, bemerkte ich.
    – Natürlich, lieber Herr; glauben Sie übrigens nicht, daß für die Mormonen die Polygamie obligatorisch ist. Brigham Young besitzt einen Harem, weil ihm das eben convenirt, aber bei Weitem nicht alle seine Verehrer an den Ufern des Salzsees ahmen ihm nach.
    – Wirklich? und Mr. Hatch?
    – Mr. Hatch hat nur eine Frau und scheint zu finden, daß er reichlich genug an ihr hat. Er beabsichtigt übrigens, der Schiffsgesellschaft sein System an einem der nächsten Abende zu entwickeln.
    – Er wird ein zahlreiches Auditorium finden, bemerkte ich.
    – Das ist sehr möglich, bestätigte Pitferge, wenn ihm nämlich das Spiel nicht viel Zuhörer entzieht. Bekanntlich wird in einem Zimmer des Vorderdecks Bank gelegt, und zwar, wie es scheint, von einem Engländer mit so gemeinem, widerwärtigen Gesicht, wie mir’s nicht leicht vorgekommen ist.
    Auch steht der Kerl in einem ganz abscheulichen Ruf; haben Sie ihn noch nicht bemerkt?«
    Nachdem der Doctor seiner Schilderung einige Einzelheiten hinzugefügt hatte, glaubte ich den unangenehmen Menschen wiederzuerkennen, der mir heute Morgen durch seine unsinnigen Wetten aufgefallen war; meine Diagnose hatte mich also nicht getäuscht. Dean Pitferge theilte mir noch mit, daß er sich Harry Drake nenne, ein Kaufmannssohn aus Calcutta sei, und die liebenswürdigen Eigenschaften eines Raufbolds, Wüstlings und Spielers von Profession in sich vereinige. Er scheine seinen nahezu ruinirten Verhältnissen demnächst durch ein abenteuerndes Leben in Amerika aufhelfen zu wollen.
    »Leute solcher Art finden immer ihre Kreise, fuhr Pitferge fort, und dieser hier hat schon seine Gesellschaft von Schuften um sich versammelt und bildet ihr würdiges Centrum. Unter dieser Clique ist besonders ein kleiner, untersetzter Mann mit rundem Gesicht, wulstigen Lippen, gekrümmter Nase und goldener Brille auffallend; es scheint ein deutsch-französischer Jude zu sein, der sich den Titel Doctor zulegt und, wie er sagt, nach Quebeck reist. Ich muß gestehen, daß er mir wie ein Schwindler der niedersten Sorte vorkommt.«
    In diesem Augenblick berührte mich Dean Pitferge, der leicht von einem Gegenstand zum andern übersprang, mit dem Ellenbogen; ich sah nach der Saalthüre und bemerkte einen jungen Mann, der eine junge Dame von etwa siebzehn Jahren am Arm führte.
    »Wohl jung verheiratet? fragte ich.
    – Nein, lautete die leise, in fast zärtlichem Ton gesprochene Antwort, es ist ein verlobtes Paar, das nur die Ankunft in Amerika abwartet, um sich für immer anzugehören. Sie haben Beide soeben – natürlich mit Genehmigung der Familie – eine Rundreise durch Europa gemacht, und kehren mit dem glücklichen Bewußtsein zurück, daß sie ihr größtes Glück in der Vereinigung für dieses Leben finden werden. Ein herrliches Paar! Es ist ein wahres Vergnügen, sie anzuschauen. Ost sehe ich, wie sie sich über das Shine-Light der Maschine neigen und die

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