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Eine schwimmende Stadt

Eine schwimmende Stadt

Titel: Eine schwimmende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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das?
    – Weil er soeben eine Cigarre zu dreißig Sols geraucht hat.«
    Doctor Dean Pitferge unterhielt mich mit seinen schlagfertigen Antworten so ausgezeichnet, daß ich mich beeilte, ihm noch weitere Fragen vorzulegen. Ich wies auf eine andere Gruppe, die sich in einer entfernten Ecke des Saales niedergelassen hatte
    »Das sind Leute aus dem Far-West, berichtete Pitferge: der Eine, er sieht ungefähr aus, wie ein Kanzleirath, ist ein sehr considerabler Mann, Gouverneur der Chicagoer Bank; er trägt fortwährend ein Photographie-Album unter dem Arm, das die Hauptansichten seiner Heimatstadt enthält, auf die er sehr stolz ist. Und was wollen Sie? der Mann hat Recht. Im Jahre 1836 wurde Chicago in einer Wüste gegründet, und jetzt zählt es 400,000 Seelen – inclusive der seinigen natürlich. Neben ihm sehen Sie ein californisches Ehepaar; die junge, zarte Frau ist ganz allerliebst. Der Herr Gemahl, jetzt allerdings ein wenig überlackirt, ist vor Zeiten als Bauernknecht hinter dem Pfluge hergegangen, bis er auf den Gedanken kam, die Goldgeschiebe zu bearbeiten. Man kann nicht anders sagen, als daß er ….
    – Ein sehr considerabler Mann ist, fiel ich ihm in’s Wort.
    – Das versteht sich! bekräftigte der Doctor ohne jede Empfindlichkeit; seine Activa beziffern sich nach Millionen.
    – Und jenes große Individuum, das, wie ein Chinese an der Uhr, seinen Kopf immer auf und nieder bewegt?
    – In dieser Persönlichkeit habe ich die Ehre, Ihnen den berühmten Universal-Statistiker Cokburn aus Rochester vorzustellen, versetzte Pitferge, nicht ohne einen gewissen triumphirenden Ton in seiner Stimme; er hat Alles gewogen, Alles gemessen, Alles quantitativ bestimmt und Alles berechnet. Fragen Sie ihn, wie viel Brod ein fünfzigjähriger Mann in seinem Leben aufgezehrt, oder wie viel Cubikmeter Luft er geathmet hat, und er wird Ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben. Er weiß Ihnen zu sagen, wie viel Quartbände von den Worten eines Advocaten am Temple-Bar gefüllt werden würden, und wie viel Meilen ein Briefträger täglich macht, erstens Alles in Allem, und dann, wenn er nur Liebesbriefe austrägt. Er wird Ihnen angeben, wie viele Wittwen pro Stunde über die Londoner Brücke gehen, und auf das Genaueste berechnen, welche Höhe eine Pyramide erreicht, die aus den im Laufe eines Jahres in der Union verzehrten Butterbröden gebaut wird …«
    Ohne allen Zweifel wäre der unerschöpfliche Doctor noch eine geraume Zeit in diesem Tone fortgefahren, aber andere Reisende zogen an unseren Augen vorüber und lenkten seine erklärenden Anmerkungen auf andere Bahnen.
    »Wie viel verschiedene Typen unter dieser Menge von Passagieren! und doch keine einzige nichtssagende Physiognomie unter Allen, denn eine Reise wie diese macht Niemand ohne tieferen Beweggrund und complicirtere Lebensschicksale. Die Meisten werden wohl von dem Verlangen getrieben, sich auf amerikanischem Boden Vermögen zu erwerben, und vergessen dabei, daß ein rechter Yankee schon mit dem zwanzigsten Jahre seine Stellung gegründet hat, und sich mit fünfundzwanzig Jahren schon zu alt vorkommt, um den Kampf um’s Dasein aufzunehmen.«
    Unter diesen Abenteurern, Erfindern und Glücksrittern zeigte mir Dean Pitferge einige, die sofort mein Interesse erweckten. Hier erblickte ich einen gelehrten Chemiker, einen Rivalen Liebig’s, der da behauptete, den ganzen Nährstoff eines ausgewachsenen Ochsen in eine Extracttafel von der Größe eines Fünffrankenstücks condensiren zu können; er ging mit der Absicht nach Amerika, aus den Wiederkäuern der Pampas Capital zu schlagen. Dort sah ich den Erfinder eines tragbaren Motors, der da eilte, sein Patent auf eine Pferdekraft im Gehäuse einer Taschenuhr in Neu-England auszubeuten. Ein Franzose aus der Rue Chapon transportirte 30,000 Puppen von Papiermaché hinüber, die mit sehr gelungenem, amerikanischem Accent »Papa« sagten; er zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie ihn zum reichen Manne machen würden.
    Und wie viele interessante Persönlichkeiten boten sich noch außer diesen Originalen dar, deren Pläne und abenteuerliche Absichten in tiefes Dunkel gehüllt waren. Flüchtete hier ein Kassirer vor seinem leeren Geldschrank? er ging vielleicht arglos mit dem neuerworbenen Freunde, einem verkappten »Detective«, umher, der ihn bei der Ankunft in New-York sofort verhaften würde. Wahrscheinlich befanden sich unter der Menge auch die berüchtigten Vermittler von höchst zweideutigen Geschäften, die

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