Eine skandalöse Braut
hatte sie das ungute Gefühl, er stelle sich nicht absichtlich so ungeschickt an; er war einfach nicht besonders helle. Dennoch gab es nichts auf dieser Welt, das sie davon abhielt, ihn höflich zu fragen, ob er, indem er ihr ein Glas Champagner brachte, vielleicht zum Ausdruck bringen wolle, sie sei zu füllig. Ihre Antwort hatte ihn in so große Verlegenheit gestürzt, dass er sich hastig entschuldigte und verschwand. Vielleicht war der ganze Abend doch nicht so ein großer Reinfall gewesen.
Nur mit ihrem Unterhemd bekleidet trat sie zum Balkon und öffnete die beiden Fenstertüren. Sie war froh um die frische Luft, die ins Schlafgemach strömte, obwohl sie etwas zu kalt war. Sie lockerte das Band, das den Halsausschnitt ihres Hemds verschloss, und ließ den Stoff ein Stückchen über ihre Schultern gleiten. Ihre Nippel zogen sich in der kalten Luft zusammen. Im Ballsaal war es unerträglich eng gewesen, und sie hatte Probleme gehabt, tief durchzuatmen. Ein Leiden, das sie seit ihrer Kindheit plagte. Es fühlte sich himmlisch an, ihre Lungen mit frischer Luft zu füllen. Sie stand mit geschlossenen Augen da und spürte die Nachtluft. Die leichte Brise war abgeflaut, und die Aufregung, die mit ihrer Atemnot einherging, legte sich allmählich. Dennoch fühlte sie sich noch etwas schwindelig. Ihr Vater bestand darauf, dass sie diese besondere Schwäche geheim hielt. Er schien überzeugt zu sein, dass kein Mann eine Frau zu ehelichen wünschte, die hin und wieder aus unerklärlichen Gründen außer Atem geriet.
Langsam atmete sie ein und ließ die Luft wieder entweichen. Ja, nun verging das Schwindelgefühl.
Es war keine Bewegung und auch kein Geräusch, was in ihr ein leises Unbehagen auslöste, sondern das instinktive Wissen, dass sie beobachtet wurde. Im nächsten Moment umschloss eine starke, männliche Hand ihren Ellbogen. »Geht es Euch gut?«
Sie riss die Augen auf. Eine große Gestalt ragte über ihr auf. Sie keuchte und riss das Unterhemd hoch, um ihre teilweise entblößten Brüste zu bedecken. Zu ihrer Überraschung sprach die Gestalt in den Schatten erneut zu ihr. Er hatte eine kultivierte, leise Stimme. »Es tut mir leid, wenn ich Euch erschreckt habe, Mylady. Ich bitte Euch viele Tausend Mal um Verzeihung, aber ich glaubte, Ihr fallt gleich in Ohnmacht.«
Amelia blickte zu ihm auf. Sie war ebenso bestürzt über seine höfliche Ausdrucksweise und sein Aussehen wie über den Umstand, auf ihrem Balkon einen Mann vorzufinden. Der Fremde hatte ebenholzschwarzes Haar, das selbst im schwachen Mondlicht schimmerte, und sein Gesicht war in Schatten getaucht, die seine feinen Züge hervorhoben. Seine mitternachtschwarzen Augen starrten sie an. »Ich … ich …«, stammelte sie. Du solltest schreien, fuhr es ihr durch den Kopf, aber sie war wie gelähmt. Nicht nur vor Entsetzen, sondern auch vor Überraschung, weshalb sie glaubte, sie könne nicht schreien.
»Ihr habt geschwankt«, fügte der mysteriöse Besucher hinzu, als könnte das alles erklären. Er runzelte leicht die Stirn, wobei sich seine dunklen, geschwungenen Brauen zusammenzogen. »Seid Ihr krank?«
Endlich fand sie ihre Stimme wieder, wenngleich sie nicht klang wie sonst, sondern nur ein hohes, dünnes Flüstern war. »Nein, mir war nur etwas schwindelig. Sir, was tut Ihr auf meinem Balkon?«
»Vielleicht solltet Ihr Euch besser hinlegen.«
Zu ihrem grenzenlosen Entsetzen hob er sie einfach hoch, geradeso, als wäre sie ein Kind, und trug sie in ihr Schlafgemach, wo er sie vorsichtig auf ihrem Bett ablegte.
Vielleicht ist das hier bloß ein seltsamer Traum.
» Was tut Ihr hier? Und wer seid Ihr?«, wollte sie wissen. Es war nicht besonders wirkungsvoll, denn sie brachte kaum mehr als ein Murmeln hervor. Ihre Angst wurde zunehmend durch brennende Neugier ersetzt. Selbst in dem dürftigen Licht konnte sie erkennen, dass er sehr vornehm gekleidet war. Ehe er sich aufrichtete, nahm sie den schwachen Duft eines teuren Rasierwassers wahr. Zwar trug er keine Krawatte, doch sein Mantel war nach der neuesten Mode geschnitten, und die maßgeschneiderte Hose und seine Reitstiefel waren nicht gerade das, was ein einfacher Straßenräuber tragen würde. Sein Gesicht war auf klassische Weise attraktiv, er hatte eine hübsche, gerade Nase und ein schmales Kinn. Sie hatte noch nie jemanden getroffen, der so dunkle Augen hatte wie er.
War er wirklich so groß? Oder wirkte er nur so, weil sie auf dem Bett ausgestreckt lag und er über ihr stand?
»Ich
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