Eine Socke voller Liebe
ganz
egal, ob es mir passt oder nicht? Dass ich viel mehr hinhören muss auf die
Klänge und Schwingungen, die in mir selbst entstehen, auf die Musik der Liebe
und des Vertrauens?
Dass ich auch Markus mit Liebe und Vertrauen begegnen soll?
Aber da ist eher ein großes Loch, ein Nichts.
Ich habe ihm verziehen, und ich habe ihn losgelassen, damit
ich meinen eigenen Weg finden kann.
Welcher Markus wird mir in ein paar Tagen begegnen?
Das Licht der Straßenlaterne fiel auf das Poster an der Wand.
Marc Chagalls „Traum der Liebenden“. Ein ganz in hellen Blautönen gehaltenes
Bild, das ein Liebespaar zeigte. Zwei Menschen, die eng umschlungen standen,
abgeschnitten von der übrigen Welt, so, als gäbe es den grauen Alltag für sie
nicht.
Das passt zu Andrea und Michael, dachte Sabine. Ja, die
beiden wirkten genauso in sich geborgen, als sie eng beieinander im Nebel
gestanden haben. Sie strahlten eine Aura der Unverletzbarkeit aus, die sie
unangreifbar erscheinen ließ inmitten der kalten Felsen, der aufgewühlten
Meeresbrandung und dem Möwengeschrei.
Dieses Gefühl hatten Markus und ich auch einmal, seufzte sie
leise. Wir waren fest davon überzeugt, dass unsere Liebe durch nichts und
niemanden auseinandergebracht werden könnte.
Aber durch seine Alkoholsucht habe ich zuerst die Achtung und
dann meine Liebe zu ihm verloren.
Ja, ich habe sie verloren wie eine Socke, die auf seltsame
Art und Weise verschwindet.
Es gibt aber immer zwei Socken, die zusammengehören.
Liebe die eine. - Vertrauen die andere?
Ja, Vertrauen zum Leben, zu Gott und zu mir selbst. Das habe
ich hier auf meiner Pilgerreise gefunden. Also besitze ich immerhin eine warme,
wollige Socke voller Vertrauen. Wie schön!
Ich bin hier auf meinem Weg von Gottes Liebe reich beschenkt
worden. Meine Seele ist voll davon wie ein Füllhorn. Und ich muss unbedingt
etwas von diesem Überfluss ausschütten.
Irgendwann in den nächsten Tagen werde ich Markus
wiedersehen. Ob er sich wohl sehr verändert hat?
Ob ich die Socke meiner Liebe zu ihm wiederfinden kann?
Mit diesen Gedanken zog sie sich die Decke über die Ohren und
schlief ein.
39. Eine
Socke voller Liebe
Sabine lenkte ihr Auto durch die breite Toreinfahrt und fuhr
auf den Parkplatz. Wie ein großer Hotelkomplex lag die Rehaklinik vor ihr.
Aufgeregt warf sie einen kurzen Blick in den Spiegel, steckte
zwei weiße Ohrclips an und strich ihre Locken hinter die Ohren, bevor sie
langsam aus dem Auto stieg. Dann glitt ihre Hand über das ärmellose, schmal
geschnittene, mintgrüne Hemdblusenkleid, das ihre hübsche Figur durch einen
weißen Gürtel betonte. Die Farbe des Kleides brachte ihre gebräunte Haut und
die vielen Sommersprossen zum Leuchten.
Sie wusste, dass sie Markus gefallen würde. Das unbehagliche
Gefühl ließ sie trotzdem nicht los. Ihr Herz klopfte heftiger als sonst.
Vorsichtig stöckelte sie über das Kopfsteinpflaster zum
Eingang des Hauses, um die dünnen Absätze ihrer weißen Schuhe nicht zu
beschädigen.
Er wartete in der Eingangshalle auf sie. Als Sabine eintrat,
erhob er sich und machte ein paar Schritte auf sie zu.
Langsam ging sie ihm entgegen. Der gepflegte Mann, der in
einem sportlichen weißen Leinenhemd und dunkelblauer Jeans auf sie zukam,
verunsicherte sie.
Ihr Herz machte einen Sprung und ihre Knie zitterten leicht,
als sich ihre Augen trafen.
Sie ergriff seine ausgestreckte Hand und stotterte: „Ja… oh…
ähem… hallo Markus.“
Der Mann, der da vor ihr stand, hatte rein äußerlich nichts
mehr mit dem zu tun, der sie vor mehr als zwei Monaten im volltrunkenen Zustand
mit dem Messer bedroht hatte.
Oder doch? Es war Markus. Beides war Markus. Ihr Mann.
Eine so auffällige Veränderung hatte sie nicht erwartet, und
sie konnte nicht vermeiden, dass sein Anblick ein freudiges Gefühl in ihr
auslöste. Irritiert lächelte sie ihn an.
Was oder wen hatte sie denn erwartet?
Er umfasste kurz ihre rechte Schulter, als wollte er sie
umarmen, aber sie wehrte seine Annäherung mit einer knappen Bewegung ab.
„Ich freue mich, dass du gekommen bist“, hörte sie ihn sagen
und „du siehst sehr schön aus.“
„Ja, danke.“ Mehr brachte sie nicht über die Lippen.
Wie zwei Fremde standen sie sich einen Moment gegenüber.
Markus löste die Spannung. „Wollen wir einen Spaziergang machen?“, schlug er
vor, „oder möchtest du lieber hier im Haus bleiben?“
„Nein, ja, laufen ist gut“, erwiderte sie.
Gemeinsam bummelten sie durch einen kleinen Park,
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