Eine Spur von Lavendel (German Edition)
Alexanders direkte Beteiligung an den Ermittlungen zu verhindern. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, gab er ihnen sogar recht – ihm fehlte noch immer die emotionale Distanz zum Opfer, um gute und objektive Ermittlungsarbeit leisten zu können, das war ihm spätestens heute schmerzlich bewusst geworden. Einige seiner Kollegen arbeiteten bereits seit mehreren Tagen an der Aufklärung des Mordes, unter Hochdruck, wie man so schön sagt. Nach einigen Gesprächen hatte man Alexander zumindest wohlwollend zugestanden, jederzeit Informationen über den Fortschritt der Ermittlungen einzufordern. Außerdem hatte niemand etwas dagegen einzuwenden, wenn er erneut privaten Kontakt zur Familie von Frank Michaelsen aufnahm.
Alexanders ernster Blick blieb zum wiederholten Male an der jungen Witwe hängen. Sie hielt ihren Kopf gesenkt, und ihre rechte Hand war fest mit der linken ihrer Tochter verschlungen. Alles, was Alexander erkennen konnte, war eine offenbar sehr zierliche Person mit einem breitkrempigen Hut auf dem Kopf, der genauso nachtschwarz war wie der einfache knielange Wollmantel, den sie trug. Das junge Mädchen neben ihr war dunkelblond und recht groß und schlaksig, ebenso wie Frank es gewesen war. Es überragte seine Mutter bereits um Haupteslänge. Direkt hinter der Witwe stand Walter Michaelsen, Franks Bruder, und sorgte mit einem überdimensionalen Stockschirm dafür, dass die weiblichen Mitglieder seiner Familie nicht allzunass wurden. An seinem freien Arm hing seine Mutter und schluchzte bitterlich in ein großes hellblaues Herrentaschentuch, dessen Farbe aus all dem Schwarz eigenartig hervorstach.
Als sich ihre Blicke begegneten, nickte Walter Michaelsen Alexander kurz zu und neigte sich dann zu seiner Mutter hinab, um ihr etwas zuzuflüstern. Sie sah auf und nickte grüßend in seine Richtung. Trotz der Tränenflut deutete sie ein verhaltenes Lächeln an. Alexander hob leicht eine Hand und erwiderte ihr Lächeln.
Eine halbe Stunde später war die Beisetzung überstanden, und der Regen hatte aufgehört. Etwas abseits vom Geschehen wartete Alexander geduldig ab, bis sich der überwiegende Teil der Trauergäste von der Familie verabschiedet hatte. Man hatte zuvor alle Anwesenden diskret darüber informiert, dass außer Walter Michaelsen niemand von der Familie an dem üblichen Leichenschmaus teilnehmen würde, der jetzt in einem nahe gelegenen Restaurant folgen sollte.
Wie Alexander es insgeheim gehofft hatte, kam Franks Mutter schließlich von allein auf ihn zu und reichte ihm ihre eiskalte Hand.
„Mein Beileid, Anneliese. Es tut mir unendlich leid“, sagte er leise.
Die ältere Frau kämpfte kurz gegen erneut aufsteigende Tränen an, ließ jedoch seine Hand noch nicht los. „Ich freue mich so, dich wiederzusehen, mein Junge. Trotz …“
„Es ist lange her“, unterbrach er sie schnell.
„Ja, das ist es in der Tat.“
Eine kleine Weile blickten sie sich stumm an, bis sie von Walter Michaelsen unterbrochen wurden. „Alex, wie nett von dir, dass du heute gekommen bist, um meinem Bruder die letzte Ehre zu erweisen.“
Alexander konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie neidisch Walter Michaelsen damals auf das gute Aussehen seines jüngeren Bruders gewesen war. Doch nun, aus der Nähe, stellte er fest, dass die Zeit mit Franks Bruder eigentlich recht nachsichtigumgegangen war. Obwohl Walter bereits seinen vierzigsten Geburtstag hinter sich haben musste, wirkte er noch immer sehr schlank und drahtig. Sein dunkelblondes, leicht welliges Haar war voll, und die sonnengebräunte Haut in seinem Gesicht war nahezu faltenlos geblieben.
„Es war mir ein Bedürfnis, herzukommen“, erklärte Alexander knapp.
Walter nickte flüchtig, wandte sich dann aber sogleich an seine Mutter. „Linda und Charlotte warten bereits im Auto auf dich. Meine Assistentin wird euch dann nach Hause fahren.“
„Ja“, sagte sie abwesend, ohne ihren Blick von Alexander zu lösen. „Ja, ich komme schon, Walter. Wirst du dich mal bei uns melden, Alexander?“ Noch immer lag ihre kalte Hand in der seinen. „Bitte!“, fügte sie nach einer kleinen Pause nachdrücklich hinzu.
„Sicher. Ich … ähm … ich würde auch sehr gerne deine Schwiegertochter und deine Enkelin kennenlernen.“
„Ich bleibe heute Nacht bei ihnen im Haus. Du kannst gerne morgen Vormittag auf eine Tasse Kaffee oder Tee vorbeischauen, wenn du möchtest. Ich werde sie auf deinen Besuch vorbereiten.“
„Ja, gerne. Aber, wenn sie …“ Er
Weitere Kostenlose Bücher