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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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fühlst du dich gleich wieder prächtig. Gar nicht so einfach zu sprechen, wenn deine Lippen wie aus Leder sind, aber ich sollte dir wohl besser sagen, wie die Dinge liegen. Was hast du da?«
    »Hübsche Sachen! Feine Sachen!« rief die Kleine begeistert; sie hielt zwei glitzernde Bruchstücke Glimmer hoch. »Wenn wir wieder zu Hause sind, gebe ich sie meinem Bruder Bob.«
    »Du wirst bald noch viel schönere Sachen sehen«, sagte der Mann überzeugt. »Warte nur ein bißchen. Aber was ich dir noch sagen wollte – erinnerst du dich, wie wir vom Fluß fortgegangen sind?«
    »Oh ja.«
    »Also, wir haben angenommen, daß wir bald den nächsten Fluß finden würden, weißt du. Aber irgendwas hat nicht gestimmt; der Kompaß oder die Landkarte oder sonst was, und der Fluß ist nicht gekommen. Das Wasser ist zu Ende gewesen. Nur noch ein kleines Tröpfchen für dich und … und …«
    »Und du hast dich nicht mehr waschen können«, unterbrach sie ihn vorwurfsvoll und starrte in sein schmutziges Gesicht empor.
    »Nein, und trinken auch nicht. Und Mr. Bender, er ist als erster drangewesen, und dann der Indianer-Pete, und dann Mrs. McGregor, und dann Johnny Hones, und dann, Liebes, deine Mutter.«
    »Dann ist Mutter auch tot«, weinte die Kleine; sie ließ das Gesicht in die Schürze sinken und schluchzte bitterlich.
    »Ja, sie sind alle fort, außer dir und mir. Dann habe ich gedacht, wir könnten in dieser Richtung hier vielleicht Wasser finden, also habe ich dich auf die Schulter genommen, und wir sind beide hierhin getippelt. Sieht aber nicht so aus, als ob wir uns verbessert hätten. Wir haben jetzt nur noch eine winzig kleine Chance.«
    »Meinst du, wir werden auch sterben?« fragte das Kind; es hörte auf zu schluchzen und hob sein tränenüberströmtes Gesicht.
    »Ich schätze, darauf läuft es hinaus.«
    »Warum hast du mir das denn nicht längst gesagt?« fragte sie mit einem fröhlichen Lachen. »Du hast mich aber erschreckt. Also, wenn wir jetzt auch sterben, dann sind wir doch wieder mit Mutter zusammen.«
    »Ja, du wirst wieder mit Mutter zusammen sein, Liebes.«
    »Und du auch. Ich werde ihr erzählen, wie lieb du zu mir gewesen bist. Ich wette, sie wartet auf uns an der Himmelstür mit einem großen Krug Wasser und einer großen Menge Buchweizenplätzchen, heiß und auf beiden Seiten geröstet, wie Bob und ich sie immer so gern hatten. Wie lange dauert es denn noch?«
    »Ich weiß es nicht – aber nicht mehr lange.« Die Augen des Mannes hingen am nördlichen Horizont. Im blauen Himmelsgewölbe waren drei kleine Punkte erschienen, die jeden Augenblick größer wurden, so schnell kamen sie näher. Bald wurden sie zu drei großen braunen Vögeln, die über den Köpfen der beiden Wanderer kreisten und sich dann auf einigen höhergelegenen Felsen niederließen. Es waren Bussarde, die Geier des Westens, und ihre Ankunft ist ein Vorzeichen des Todes.
    »Hähne und Hennen«, sagte das kleine Mädchen fröhlich; dabei deutete sie auf die ominösen Gestalten und klatschte in die Hände, um sie aufzuscheuchen. »Sag mal, hat Gott dieses Land gemacht?«
    »Natürlich hat Er das«, sagte ihr Begleiter, den diese unerwartete Frage beinahe erschreckte.
    »Er hat das Land unten in Illinois gemacht, und Er hat den Missouri gemacht«, fuhr das kleine Mädchen fort. »Ich glaube, hier herum muß jemand anderes das Land gemacht haben. Es ist längst nicht so gut gelungen. Man hat Wasser und Bäume vergessen.«
    »Was meinst du dazu, ein wenig zu beten?« fragte der Mann schüchtern.
    »Es ist noch nicht Abend«, antwortete sie.
    »Das macht nichts. Es ist nicht ganz die richtige Zeit, aber Ihm wird das nichts ausmachen, darauf kannst du wetten. Sag doch einfach die Gebete, die du jeden Abend im Wagen gesagt hast, als wir noch in der Prairie waren.«
    »Warum betest du nicht selbst?« fragte das Kind mit verwunderten Augen.
    »Ich kann mich an kein Gebet mehr erinnern«, antwortete er. »Ich hab nicht mehr gebetet, seit ich halb so groß war wie das Gewehr da. Ich nehme an, es ist nie zu spät. Du betest laut, und ich hör zu und mach immer beim Refrain mit.«
    »Dann mußt du knien, und ich auch«, sägte sie; zu diesem Zweck breitete sie den Schal aus. »Du mußt die Hände hochhalten, so ungefähr. Dann fühlt man sich irgendwie gut.«
    Es wäre ein seltsamer Anblick gewesen, wenn außer den Bussarden jemand hätte zusehen können. Nebeneinander knieten die beiden Wanderer auf dem schmalen Schal, das kleine plappernde Kind

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