Eine Sünde zuviel
Montreux ist bestellt. Ich habe die Reservierungsnachricht. Willst du fahren?«
»Aber ja. Ich freue mich so darauf. Der Genfer See, die Fahrten mit den Schiffen, die reine Luft … ich werde einige Wochen richtig Erholung tanken. Wie lange darf ich denn bleiben?«
»Solange du willst, Luiserl.«
»Und du?«
»Ich werde es erdulden müssen, daß Monika für mich sorgt. Aber auch das stehe ich durch. Es geht jetzt nur um deine Gesundheit, um nichts anderes.«
»Und wenn … wenn ich vielleicht zwei Monate bleibe?«
»Dann muß es so sein. Ich werde mich dann doppelt freuen, dich gesund, braungebrannt und fröhlich wiederzusehen.«
»Du bist so lieb, Ernst –«
»Du weißt, daß ich für dich alles tue, Luiserl.«
Zwei Monate, dachte er beglückt. Zwei Monate allein mit Moni. Morgens, mittags, abends, nachts … nur Moni. Ihre langen blonden Haare, in die man sich einwickeln kann, ihren zarten, schlanken Körper, ihre junge, betörende, duftende Wärme … ihre Liebe, die wild ist wie ein Sturm und doch nach Rosen duftet … zwei Monate lang nur sie … sie … sie …
»Wann willst du fahren?« fragte er mit ausgedörrter Kehle.
»Für wann hast du die Zimmer bestellt?«
»Auf Abruf.«
»Dann in vierzehn Tagen? Ist es recht?«
»Aber ja, Luiserl –«
Sie saßen noch eine Stunde auf der Bank, selbst als die Sonne hinter den Bäumen stand und die Bank im Schatten lag. Dann gingen sie zurück zum Wagen, Arm in Arm, wie ein junges, verliebtes Paar, für das die Umwelt nichts ist als eine Kulisse ihrer Liebe.
Mein Gott, wenn ich wieder sehen werde, dachte sie, als sie über den Parkweg gingen. Wenn ich zurückkomme aus Montreux und kann wieder sehen. Er wird verrückt werden vor Freude.
In vierzehn Tagen, dachte er und drückte Luises Arm an sich. Dann habe ich Moni zwei Monate für mich allein. Man bestreitet, daß es je ein Paradies gegeben hat … ich werde es erleben! Und ich will ertrinken in diesem Meer von Wonne … ich will nicht daran denken, was nachher werden wird … nach zwei Monaten, wenn sie zurückkommt –
»Ich liebe dich –«, sagte Luise, ehe sie in den Wagen stieg.
»Ich dich auch, Luiserl –«
»Küß mich –«
Und er küßte sie und dachte dabei an Monika. Er sah Luises seliges Lächeln und schloß die Augen, weil es ihn fror.
Warum ist sie nicht gestorben, dachte er plötzlich. Es war ein Gedanke, der zum Wunsch wurde.
*
Der Zug nach Montreux dampfte aus der Bahnhofshalle. Fräulein Pleschke stand am Nebenfenster und winkte ihrem Lehrerstudenten zu … am anderen Fenster lief Dahlmann neben dem Waggon her, hielt noch immer Luises Hand fest und rief: »Alles Gute, Luiserl! Alles, alles Gute –« Dann ließ er die Hand los … er blieb stehen und sah dem Zug nach, aufatmend, jugendlich, fröhlich, auf ein Winken verzichtend, das sie ja doch nicht sah, mit wehenden, graumelierten Haaren, ein schöner Mann, der wußte, daß er auf Frauen wirkte und der sich im Vollbesitz seiner Männlichkeit fühlte, als der Zug um eine Biegung seinen Blicken entschwand.
Ich könnte einen Baum ausreißen, dachte er übermütig. Ich könnte wie ein neuer Samson die stählernen Säulen des Bahnhofes knicken! Frei! Frei! Für zwei Monate frei! Jetzt endlich wird man wissen, wozu man lebt –
Luise Dahlmann saß still in ihrer Polsterecke, als Fräulein Pleschke mit leicht verweinten Augen zurück in das Abteil kam. Das gleichmäßige Rattern und Rollen der Räder war wie Musik. Eine Stunde vor ihrer Abfahrt hatte sie im Schauspielhaus angerufen, während Ernst die Koffer in den Wagen lud. Robert Sanden war sofort am Telefon, als habe er auf den Anruf beim Bühnenportier gewartet.
»Ja, ich habe hingeschrieben«, sagte er. »Ein Dr. Saviano hat im Auftrage Professor Siris geantwortet. Der Professor will sich aus Münster die Operationsberichte kommen lassen und sie studieren, ehe er zusagt. Er ist nicht abgeneigt … und das ist schon viel wert. Nun müssen wir warten … in etwa drei Wochen will Professor Siri sich entscheiden, schreibt Dr. Saviano –«
Drei Wochen warten, dachte Luise. Wenn dann das Ja kommt … ich werde nach Bologna fliegen, jede Stunde werde ich zählen, bis man mir wieder die Binde von den Augen nimmt … und dann werde ich wieder sehen können, sehen … ich glaube so fest daran … ich weiß, daß ich wieder sehen werde … Nur stark muß ich sein, drei Wochen lang und dann die Tage in Bologna … ganz, ganz stark … ich muß mein Herz in beide Hände nehmen und
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