Eine Sünde zuviel
ruhten. Seine schwarzmelierten Haare glänzten unter den Lampen, sein weißes Hemd leuchtete, der einfarbige Schlips darauf paßte genau zur Farbe des Anzuges und setzte sich fort im Ziertuch und in der Farbe der Socken. Elegant und sich seiner Wirkung bewußt, saß er lässig im Sessel, drehte spielerisch seinen Trauring am Finger, plauderte, lachte, machte Komplimente und spielte den bewußten Gentleman mit einem Hauch von Traurigkeit und Weltschmerz, der jedes Frauenherz erobert.
An eine solche Situation mußte sie denken, als sie seine Warnung hörte und das Wort Luiserl. Sie lachte vor sich hin, bog den Kopf zurück, blickte um einen gläsernen Aufbau herum und schüttelte den Kopf.
»Der Säuredampf hat ja gar keinen Druck –«, sagte sie. »Und in der Schlange wird er ja sofort abgekühlt … Komm, schütt mir auch ein Glas ein und bring es mir. Wenn's auch diesmal schiefgeht, brauch ich einen Kognak –«
In diesem Augenblick – als sie den Kopf wieder nach vorne nahm und auf den Glaskolben blickte – geschah die Explosion.
Der Kolben zersprang einfach, ohne ersichtlichen Grund. Der heiße, gelbliche Dampf zischte gegen die Decke und umhüllte in Sekundenschnelle den Kopf Luise Dahlmanns. Gleichzeitig mit dem Dampf spritzte die kochende Säuremischung aus dem Kolben, halb flüssig, halb schon verdampft, ein heißer Regen aus einem schwefeligen Nebel.
Ernst Dahlmann war aufgesprungen und rannte um seinen Labortisch herum zu Luise.
»Luiserl!« schrie er dabei. »Luiserl? Was ist denn? Bist du verletzt … Luiserl –«
Luise Dahlmann hatte den dumpfen Knall gar nicht gehört. Sie hatte plötzlich nur den dampfenden Nebel vor sich gesehen, den heißen Regen gespürt, die Tropfen, die über ihr Gesicht sprühten, in die Augen drangen … Tropfen, die nicht nur glühten, sondern wie flüssiger Höllenstein brannten.
»Meine Augen!« dachte sie nur. »Mein Gott – meine Augen –«
Sie schlug die Hände vors Gesicht, warf den Kopf zurück, aber schon, als sie ihre nasse Haut fühlte, wußte sie, daß es zu spät war. Ernst Dahlmann riß sie aus dem gelben Dampf und schleuderte sie fast in die Mitte des Labors hinein … dann rannte er zu den großen Fenstern, stieß die Flügel auf und stürzte zu Luise zurück, die verkrümmt an einem der langen Tische lehnte und noch immer ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckt hielt.
»Luiserl …«, stammelte Dahlmann. »Sag … hast du dich verletzt –« Er wagte nicht, sie zu berühren, ihr die Hände vom Gesicht zu ziehen … er sah es schon am Hals, was ihn erwartete. Dort waren einige Spritzer hingekommen, und die Haut war rot geworden, aufgequollen, verätzt.
Nach diesen ersten Sekunden des Schreckens und Entsetzens handelten sie, wie sie es hundertmal gehört hatten und auch immer wieder den Kunden rieten: Kein Wasser auf die Verätzungen, sondern zunächst bloßes Abtupfen der Säure mit Zellstoff. Und dann einen Arzt … sofort einen Arzt …
Ernst Dahlmann atmete schwer, als er das Gesicht seiner Frau sah. Ein großer roter, aufgequollener Fleck Fleisch, in dem Nase und Mund verschwanden. Unter der Stirn die Augenbrauen, deren Haare sich bei der Berührung lösten wie abgebrannter Zunder. Die Augenlider waren ebenfalls verätzt, unter den Wimpern liefen die Tränen heraus, kleine Bäche, die sich einen Weg durch die zerstörte Haut suchten. Jetzt kam auch der Schmerz … der Kopf brannte, als läge er in einem offenen Feuer, er glühte und kochte das Gehirn.
Luise Dahlmann bäumte sich hoch und schrie. Es war ein greller, ins Mark dringender Schrei, ein Aufbrüllen, das kaum noch etwas Menschliches an sich hatte. Sie umklammerte ihren Kopf und stampfte mit beiden Beinen in unerträglichem Schmerz auf den Boden.
»Oh!« schrie sie hell. »Oh … ich verbrenne … ich verbrenne … meine Augen … meine Augen …«
Ernst Dahlmann rannte in die Apotheke. Es war ein Abend, an dem er keine Nachtbereitschaft hatte. Mit fliegenden Händen suchte er eine sterile Spritze, brach eine Schachtel mit Morphinampullen auf und rannte zurück zum Labor. Mein Gott, wenn bloß jemand hier wäre, dachte er. Immer ist jemand in der Apotheke, gestern war Dienst, morgen ist wieder Bereitschaft … und gerade heute, heute, wo wir allein sind …
Luise stand noch immer zusammengekrümmt an dem langen Labortisch, den Kopf zwischen den Händen. Als Dahlmann sie anrührte, war sie wie versteint. Der wahnsinnige, brennende Schmerz schien sie zur erstarrten Schlacke gemacht
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