Eine Sünde zuviel
legte er auf einen Hocker neben der Staffelei, sie waren jetzt nicht mehr wichtig. In Monikas Augen schrie ihm der letzte Rest von moralischer Kraft entgegen, ein letztes Aufbäumen gegen ein Schicksal, das nicht mehr aufzuhalten war.
»Moni –«, sagte er leise und streckte beide Hände nach ihr aus. Er ergriff sie an den Schultern, zog sie an sich und streichelte sie mit zitternden Fingern. »Moni – es hat keinen Sinn, zu denken … wir können nicht mehr voneinander lassen … wir können es einfach nicht … das weißt du, das spüren wir doch beide … wir werden nie die Kraft aufbringen, uns wegzustoßen und vernünftig zu sein … Wir werden in der Unvernunft leben, weil sie die einzige Welt ist, in der wir glücklich sind. Und wir sind doch glücklich –«
»Ja …« Sie nickte schwach. Dann warf sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn mit einer atemberaubenden Wildheit. »Bleib bei mir …«, stammelte sie. »Halt mich ganz fest … laß mich nie wieder los …«
Als das Abendrot den Himmel aufglühen ließ und durch das große Fenster der Sonnenuntergang jeden Gegenstand in ein sattes Orange kleidete, legte Ernst Dahlmann seine gelben Rosen auf den Körper Monis. Blüte neben Blüte … sie bedeckten den Leib von den Brüsten bis zu den Hüften.
»So bekränzt man eine Tote –«, sagte sie kaum hörbar.
Er schüttelte den Kopf und küßte sie auf die Augen.
»Ich schmücke ein neues Leben … Wir sind nicht mehr zwei Menschen … wir sind ein einziges, aus der Glut geschleudertes Wesen –«
Um die gleiche Zeit raste der Schnellzug an Offenburg vorbei Basel entgegen.
Luise lehnte an dem Kopfpolster und schlief. Sie lächelte im Schlaf, es mußte ein schöner Traum sein.
Fräulein Pleschke löste Kreuzworträtsel. Oper von Verdi mit vier Buchstaben. Aida.
Erst gegen Morgen würde man in Montreux sein.
*
Ernst Dahlmann hielt sich nicht lange mit Warten auf. Nach zwei Tagen Apothekendienst und zwei Nächten ohne Schlaf in den Armen Monikas fuhr er zu Dr. Fritz Kutscher, seinem Rechtsanwalt. Er hatte sich telefonisch angemeldet und wurde sofort in das Privatbüro geführt. Dr. Kutscher hatte eine umfangreiche Praxis … er galt als Experte in Steuersachen, hatte daher einige sehr wohlhabende und in Hannover bekannte Klienten, aber er war auch ein Fachmann in allen kniffeligen Situationen, die der Alltag nur allzuoft schafft und aus denen man nur mit viel Logik und noch mehr Raffinesse herauskommt. Hier wirkte ein Ratschlag Dr. Kutschers immer erlösend. Wenn andere die Nerven verloren, wurde er ruhig und von einer ausgedörrten Trockenheit, die mit juristischer Nüchternheit schon nichts mehr gemeinsam hatte. Um so mehr war es verwunderlich, was man sich unter der Hand von ihm erzählte. Mit seinen vierundvierzig Jahren und seiner mittelgroßen, etwas rundlichen Figur, seinem Alltagsgesicht und seinen gar nicht charmanten Manieren sollte er ein großer Lebemann sein … eine andere Seite seines Lebens, die es ihm erlaubte, für alle menschlichen Schwächen aufgeschlossen und zu Ratschlägen bereit zu sein.
»Was gibt's, lieber Dahlmann?« sagte Dr. Kutscher merkwürdig jovial. »Ihre Frau ist in Montreux?«
»Woher wissen Sie das?«
»Von unserem lieben Dr. Ronnefeld. Ich hatte heute morgen einen Brummschädel und ließ mir etwas dagegen verschreiben. Auch wenn Sie den guten Onkel Doktor hinausgeekelt haben, nimmt er am Dahlmannschen Familienleben aus der Ferne teil –«
»Ein lästiger Kerl!« sagte Dahlmann aus tiefer Brust.
»Das ist relativ. Was Sie als lästig empfinden, nennen andere Sorge um die Patienten. Na, wie ist's, so als Strohwitwer?«
Dahlmann setzte sich und nahm aus der hingeschobenen Kiste eine Zigarre. Es war eine lange, dünne Virginia … Dr. Kutscher liebte sie, obwohl sie aus der Mode gekommen waren. Er rauchte sie seit seiner Studentenzeit in New York, gewissermaßen als Erinnerung an die zwei Semester in den USA, von denen er sagte, daß er in ihnen zwar keine Juristerei, aber die Erkenntnis gelernt habe, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Dr. Kutscher unterbrach nicht die Stille, die herrschte, während Dahlmann den Strohhalm aus der Virginiazigarre zog und sie anbrannte. In diesem Falle hatte Dr. Kutscher sich die alte Weisheit der Irrenärzte zu eigen gemacht: Nichts sagen … die Kranken reden von allein. Und dann reden lassen, ohne zu unterbrechen … wer einmal redet, sagt mehr, als hundert Fragen herauslocken können.
»Ich komme mit einem Problem zu
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