Eine süße Versuchung für Marcy
er in seinen Sechzigern, trug Pullunder und ein Jackett mit Lederflicken an den Ellbogen.
Marcy schmunzelte über das Klischee, das sie in ihrer Vorstellung hatte. Sie war alles andere als gesetzt . Mit achtundzwanzig Jahren war sie immer noch auf der Suche nach einem Beruf, der sie durch gute wie schlechte Zeiten führen sollte.
Sie hätte stundenlang über ihre Zukunft nachgrübeln können. Aber hier wartete Arbeit auf sie. Sie musste das Fenster reparieren lassen, damit sie die erste Nacht einigermaßen sicher in der Hütte verbringen konnte, die Eric Sheridan sein Zuhause nannte.
Ein letztes Mal lief Eric durch seine leere Wohnung. Gleich würde er ins Auto steigen und losfahren. Er freute sich auf die Fahrt nach Kalifornien. Unterwegs würde er sich nur auf die Straße konzentrieren und nicht länger über sein Leben in New York nachdenken und grübeln.
Er musste endgültig einen Schlussstrich ziehen. Vor einem Jahr war ihm Jamie genommen worden, und was seine Trauerarbeit anging, so war Eric noch immer im Stadium der ohnmächtigen Wut. Höchste Zeit, dass diese Phase endete.
Aus diesem Grunde hatte er sich entschlossen, seinen Lehrstuhl am Massachusetts Institute of Technology aufzugeben – hier hatte auch sein Vater viele Jahre lang unterrichtet – und auf die andere Seite des Kontinents zu ziehen. Ein Umzug an die Westküste schien das Vernünftigste zu sein, um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Er war fast vierzig und hatte genug vom Alleinsein. Deshalb wollte er in der Nähe seiner Familie wohnen und sie nicht nur an den Feiertagen sehen. Seine Brüder waren übers ganze Land verstreut; nur seine Schwester lebte in der Nähe von Sacramento. Sie hatte erst kürzlich geheiratet und würde nicht so bald wieder umziehen.
Aber was noch wichtiger war: Er wollte selbst heiraten und Kinder haben. Deshalb hatte er ein Haus gekauft, in dem eine Familie leben konnte. Seit Jahren wollte er schon sesshaft werden, doch zunächst hatte er andere Verpflichtungen erfüllen müssen, ehe er an sich selbst denken konnte. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte er sich um seine vier jüngeren Geschwister gekümmert. Er bereute nicht, was er getan hatte, doch nun war die Zeit gekommen, an sich selbst zu denken.
Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Marcy Malone. „Was gibt’s, Marcy?“
„Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“
„Ich laufe gerade noch ein letztes Mal durch meine leere Wohnung. Was kann ich für Sie tun?“
„Ich wollte Ihnen nur sagen, dass das Fenster repariert worden ist.“
„Gut.“
„Allerdings habe ich gerade festgestellt, dass es weder Vorhänge noch Jalousien gibt.“
„Das weiß ich.“
„Haben Sie bereits welche bestellt? Auf der Liste habe ich keinen entsprechenden Posten entdeckt.“
Sie schien noch gereizter zu sein als bei ihrem letzten Gespräch. „Darum kümmert sich der Innenarchitekt. Verstehe ich Sie recht – Sie haben Angst, in einem Haus ohne Vorhänge zu sein?“
Ein langes Schweigen entstand, als ob sie ihren Klienten mit einer überstürzten Antwort nicht verärgern wollte. „Nein, ist schon in Ordnung.“ Sie klang, als müsste sie sich selbst davon überzeugen.
Eric hätte sich vorher bei Julia Swanson über Marcy Malone erkundigen müssen. Er hätte gern ein Gesicht zu dieser Stimme. Sie hörte sich sehr jung an. „Wenn Sie lieber …“, begann er. Er wollte sie nicht gegen jemand anderen austauschen, aber sie sollte sich auch nicht in dem leeren Haus fürchten.
„Nein, nein, ist schon in Ordnung“, unterbrach sie ihn.
„Ich freue mich, dass Sie angerufen haben. Zögern Sie nicht – egal, wie nichtig der Anlass auch zu sein scheint.“
„Danke. Gute Fahrt.“
Er verabschiedete sich und trat ans Wohnzimmerfenster, das zum Central Park hinausging. Dort war er oft mit Jamie gewesen. Sie waren Rollschuh gelaufen, hatten Eis gegessen und viel geredet – über Gott und die Welt und welche Basketballmannschaft die beste war.
Jamie hatte Eric die Augen geöffnet für ein Leben, wie er es selbst für sich haben wollte. Eine liebevolle Frau, die Beständigkeit versprach. Und die mütterlich sein sollte. Vor allem mütterlich.
Und die ihre Karriere hintanstellte, solange die Kinder klein waren. Eine hoffnungslos chauvinistische und politisch unkorrekte Einstellung – aber er war nun mal kein junger, idealistischer Mann mehr. Er wusste, was er wollte, womit er leben und was er auf keinen Fall hinnehmen konnte. Davon würde er
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