Eine süße Versuchung für Marcy
sie bei ihrer Freundin Lori übernachten, doch diese bekam Besuch von außerhalb und hatte kein Bett frei für Marcy. Zwei andere Freundinnen, die sie anrief, lebten seit Neuestem mit ihren Freunden zusammen, sodass auch in deren Wohnungen kein Platz für sie war.
Zum ersten Mal seit langer Zeit würde sie in ein Motel ziehen müssen.
Doch egal, wohin es sie verschlug – sie würde wenigstens wieder durchschlafen können. In Erics Haus hörte sie die ganze Nacht unheimliche Geräusche. Fensterläden quietschten, Holzdielen knarrten, und der Wind schlug die Äste gegen die Scheiben. Manchmal glaubte sie, Schritte zu hören. Am Morgen deutete allerdings nichts darauf hin, dass jemand eingebrochen war.
Sie wusste, dass sie sich lächerlich machte. Vermutlich war sie paranoid. Es lag wohl nur daran, weil sie sich in einem unbewohnten Haus aufhielt. Die Möbel, Gardinen und Teppiche schluckten jeden Laut, aber menschenleere Zimmer verstärkten jedes noch so leise Geräusch, sodass sie jedes Mal aufschreckte.
Sie hatte den Schlafsack direkt neben die Tür gelegt und war kein einziges Mal aufgestanden, um nachzuforschen, woher die Laute kamen.
Nur noch eine Nacht …
Sie duschte in Windeseile, öffnete die Schlafzimmertür und lugte hinaus. Alles still. Nach einer Minute schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, schaute in jedes Zimmer, entdeckte nichts Ungewöhnliches. Das Tageslicht vertrieb die Geister und verminderte die Angst. Erleichtert öffnete sie den Kühlschrank. Die Einkäufe für Eric hatte sie bereits erledigt, aber auch für sich hatte sie einige Getränke gekühlt. Kleine Flaschen mit Orangensaft zum Beispiel. Als sie danach griff, stellte sie fest, dass es die Letzte war.
Sie hatte fünf Flaschen gekauft. Das war erst der vierte Tag.
Marcy durchsuchte den Kühlschrank, fand aber keine Flasche. Hatte einer der Handwerker sie mitgenommen?
Ansonsten fehlte nichts, wie sie schnell feststellte. Aus einem der Schränke holte sie ein Brot und ein Glas Erdnussbutter, das zur Hälfte leer war.
Sie hatte sich nur ein einziges Brot gemacht.
Marcy stellte das Glas ab. Auch eine Hälfte des Brotes war verschwunden. Das bildete sie sich nicht ein.
Wer konnte die Lebensmittel genommen haben? Was war sonst noch berührt worden? Es musste jemand sein, der während der beiden vergangenen Tage im Haus gewesen war. Wen hatte sie nicht genügend im Auge behalten?
Der Maurer hatte den ganzen Dienstag und den halben Mittwochnachmittag im Haus gearbeitet. Vielleicht war er es gewesen. Sie hatte ihn nämlich allein gelassen, als die Waschmaschine und der Trockner geliefert worden waren. Aber der Wäscheraum befand sich neben der Küche. Marcy hätte es bemerkt, wenn der Mauer hereingekommen wäre. Die Dekorationen für die Fenster waren kurze Zeit später eingetroffen, doch der Lieferant hatte das Wohnzimmer nicht verlassen.
Blieben die Anstreicher. Sie waren am längsten im Haus gewesen.
Was sollte sie tun? Natürlich könnte sie sich bei ihrem Boss beschweren. Die Männer würden wahrscheinlich alles abstreiten. Außerdem hatte sie keinerlei Beweise. Jetzt musste sie Inventur machen und alles ersetzen, was fehlte.
Irgendwie war ihr die Sache unheimlich.
Sie wollte den Abfall nach draußen in die Tonne bringen. Die Tonne war ebenfalls verschwunden! Genauer gesagt, zwei Tonnen: die für den Abfall und die für den Plastikmüll. Auch die Gipskartonplatten, die der Maurer entsorgt hatte, waren nicht mehr da.
Marcy lief in den Vorgarten und entdeckte die Tonnen sowie die Gipskartonplatten, zerkleinert und auf dem Gehweg gestapelt, bereit zum Abtransport. Die Mülltonne war mit Papierresten und Putz gefüllt.
„Heute haben wir viel Abfall, was, Lucy?“, hörte sie eine Frauenstimme.
Marcy drehte sich um. Auf dem Nachbargrundstück mühte sich eine Frau mit der Mülltonne ab. Sie zerrte sie an den Straßenrand, während sie ein Kleinkind im Arm hielt. Marcy eilte zu ihr.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Danke.“ Sie folgte Marcy auf die Straße. „Sind Sie meine neue Nachbarin?“
„Nein. Ich bringe nur das Haus in Ordnung, bevor der Eigentümer kommt.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich heiße Marcy.“
„Ich bin Annie, und das ist Lucy. Sie ist zwei Jahre alt. Sag Hallo, Schätzchen.“ Die Frau war groß und schlank, etwa Anfang dreißig und hatte schulterlanges blondes Haar. Sie trug keinen Ehering.
Das kleine Mädchen sah Marcy kokett an, sodass diese lachen musste. „Nett, dich und deine
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