Eine Tankstelle fuer die Seele
nicht mehr den eigenen fehlenden bzw. nicht bewussten, nicht gelebten Anteil ersetzen, sondern darf so sein, wie er ist. So wird aus dem »Ich liebe dich, weil ich dich brauche« ein »Ich liebe dich, weil du bist, wie du bist«. Das Erkennen der Projektion auf den Partner oder die Partnerin ist allerdings nicht immer ganz leicht, da unsere Vorstellung vom anderen Geschlecht zunächst sehr stark von den Eltern geprägt wird, das heißt bei der Frau vom Vater und beim Mann von der Mutter. Wir haben sie oft so verinnerlicht, dass wir – ohne es zu wissen – uns auf die Suche nach einem Ersatzvater oder einer Ersatzmutter machen, wo wir eigentlich einen Partner suchen. Die Partnerschaft wird damit von Anfang an eine symbiotische, das heißt, beide sind vollkommen aufeinander angewiesen, können sich keine Freiheit geben und dem anderen nicht erlauben, sich aus dieser Rolle zu lösen.
Ein Beispiel: Das Animus-Bild einer jungen Frau wird vielleicht ein gut aussehender, erfolgreicher, tatkräftiger junger Mann sein, das aber gleichzeitig ihre eigene männliche, jugendliche, tatkräftige Seite spiegelt. Projiziert sie es nur nach außen und lebt fast ausschließlich ihre weibliche Seite, entsteht ein Defizit in ihr, das sich oft in einer Beziehung erst nach einiger Zeit schmerzlich äußert. Eine andere Gefahr könnte sein, dass sie vom Mann vollkommen abhängig wird, oder dass sie ihn mit der zwangsläufig auftauchenden Unzufriedenheit und Nörgelei vertreibt. Das Gleiche gilt natürlich auch umgekehrt für die Entwicklung der inneren Frau im Mann. Überlässt er die weiblichen Anteile vollkommen seiner Partnerin, wird er innerlich immer starrer und immer weniger fähig zu lebendigem Miteinander. Ausschließlich für die sozialen Kontakte, die Kinder und das »gemütliche Zuhause« zuständig zu sein, wird auch hier auf Dauer zu Unzufriedenheit führen.
Echte Liebe zwischen Mann und Frau braucht die Fähigkeit beider Partner, in den verschiedenen Lebensphasen die jeweils andere Seite ein Stück in sich wahrzunehmen und zu leben.
Anima – die innere Frau
Zum lateinischen Wort »Anima« finden sich Entsprechungen wie »Psyche«, »Seele« oder auch »Lufthauch«. Mit Anima bezeichnete C.G. Jung zunächst das weibliche Inbild im Mann, das sozusagen seinen inneren Seelenanteil symbolisiert. Es ist eine Art Sehnsuchtsbild der Frau, das bereits vorhanden ist, bevor es zum Beispiel durch eine äußere Begegnung mit einer Frau (die erste mit der eigenen Mutter) aktiviert wird. In der Kunst spielt dieser Archetyp eine große Rolle. Die überirdisch schönen Bilder der jungfräulichen Maria von Fra Angelico oder die »Geburt der Venus« von Botticelli zeigen anschaulich, dass das Bild dieses Archetyps oft mit der Qualität des Luftigen, Leichten, Ätherischen verbunden und meist von sanfter Schönheit ist. Blumen stehen ebenso mit ihr in Verbindung wie Musik. Archetypische Bilder der Anima, die eine große Faszination ausüben, spielen in Mythen und Märchen eine große Rolle. In Mozarts Zauberflöte zum Beispiel sieht der Prinz nur ein Bild von der schönen Prinzessin und verfällt ihr in brennender Liebe, was ihn zu einer der schönsten Arien dieser Oper bewegt. Ein häufiges Motiv in Mythen und Märchen ist auch die Erlösung des Helden durch eine Anima-Frau mit reiner Seele. Scheitert sie allerdings an dieser Aufgabe, ist der Held verloren, wie zum Beispiel im »Fliegenden Holländer« von Richard Wagner.
Auf dem Weg, die eigene weibliche Seite in sich selbst zu beleben, steht oft die Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter-Erfahrung am Anfang, vor allem, wenn sie mit Ablehnung und Angst oder mit falscher Idealisierung und Abhängigkeitsgefühlen verbunden ist. Dieses erste Bild der Frau im Leben eines Mannes muss erst einmal angeschaut und »erlöst« werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein Sehnsuchtsbild der Frau entsteht, das die so idealisierte Partnerin nicht einlösen kann und damit alte Verletzungen von Zurückweisung und Enttäuschung wieder belebt. Wird der Anima-Archetyp in einem Menschen erweckt, stellt er die Verbindung zur eigenen Seele, zu den verborgenen und vor allem zu den oft vernachlässigten sanften und liebevollen Anteilen her. Die Welt wird plötzlich mit anderen Augen gesehen, es ist wie ein inneres Erwachen und ein Bewusstwerden der Seele und ihrer Qualitäten. Man nimmt seine Umwelt gefühlsmäßig wahr, wird weicher und mitfühlender. Nicht selten zeigt sich die Anima in Träumen oder
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