Eine tollkuehne Lady
Kontrolle übernahm an ihre eigentliche Ansicht über diesen Mann. Sie hatte bereits eine Meinung von ihm gehabt, bevor er so plötzlich erschienen war und sich am Feuer tatkräftig für sie eingesetzt hatte - kurz, gesunde Skepsis bahnte sich ihren Weg.
Oh ja, sie wusste, dass alle Welt den Marquess of Griffith für eine Art Ausbund an Tugend hielt, für einen gerechten und integren Mann. Seit sie seinen Brief an Papa erhalten hatte, in dem er seine bevorstehende Ankunft ankündigte, hatte sie sich in der Gesellschaft nach ihm erkundigt und versucht, so viele Informationen - und so viel Klatsch -wie möglich über den bekannten Londoner Gast zu sammeln.
Als hochrangiger Diplomat und erfahrener Unterhändler des englischen Außenministeriums - er war sogar ein persönlicher Freund des Außenministers, Lord Castlereagh - hatte Lord Griffith Kriege verhindert, Waffenstillstände ausgehandelt, die Freilassung von Geiseln erwirkt und machtgierige Potentaten mit kühler Unnachgiebigkeit und eiserner Selbstdisziplin bezwungen. Wenn irgendwo in der Welt sich ein Konflikt zusammenbraute, war Lord Griffith derjenige, den das Außenministerium dorthin schickte, um die gefährlichsten Situationen zu entschärfen.
Als eine Frau, die Indiens jahrhundertealte Philosophie der Jain befürwortete, die für Gewaltlosigkeit und soziale Gleichheit einstand, musste Georgie einen Mann achten, der den Sinn seines Lebens darin sah, Menschen daran zu hindern, einander umzubringen.
Dennoch hatte sie ihre Zweifel.
So gut war kein Mensch. Die östlichen Mysterien lehrten, dass es für jedes Licht in einem Menschen auch eine dunkle Stelle gab. Außerdem war sie sehr vorsichtig geworden, nachdem sie erlebt hatte, dass jeder neue Diplomat, Politiker oder Beamte, der aus London geschickt worden war, um bei der Regierung Indiens zu helfen, vor allem ein Motiv für seine Reise nach Indien kannte - Gold. Sie hatten kaum die Schiffe verlassen, da begannen sie schon, die eigenen Taschen mit den Reichtümern des Ostens zu füllen, gewöhnlich, indem sie die Inder ausbeuteten. Nur die wenigsten Briten kümmerten sich um die Bevölkerung. Aber Georgie lag sehr viel an den Menschen in diesem Land.
Seit der Kindheit betrachtete Georgie das indische Volk als ihre zweite Familie. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie von freundlichen indischen Dienstboten aufgezogen worden. Sie hatten sie, das verwaiste kleine Mädchen, in ihrer Welt willkommen geheißen - ihrer heiteren, vielfarbigen, geheimnisvollen, paradoxen Welt.
Und Georgie war davon geformt worden.
Sie nutzte ihre Stellung in der britischen Gesellschaft, um die Inder in ihrer Umgebung vor den schlimmsten Übergriffen westlicher Habsucht zu schützen, aber Frauen besaßen wenig Einfluss - außer der Macht, die Gott ihnen in Form von Charme, Geist und Schönheit gegeben hatte. Trotz der Kontakte ihrer Familie zu einem Duke, der Position ihres Vaters als inzwischen im Ruhestand befindliche Führungspersönlichkeit der East India Company, die Ränge ihrer Brüder als allgemein anerkannte Offiziere der Königlichen Armee und ihres eigenen Status als hoch wohlgeborene englische Debütantin schienen ihre Versuche, dem indischen Volk zu helfen, oft eine verlorene Schlacht zu sein.
Und jetzt hatten die Mächtigen in London Lord Griffith hergeschickt, die schärfste Waffe in ihrem Arsenal.
Das war kein gutes Zeichen.
Etwas Großes musste im Gange sein, und Georgie hatte vor herauszufinden, was das war. Sie hatte Gerüchte gehört über einen weiteren Krieg gegen das Reich der Marathen, aber sie betete zu Gott, dass das nicht stimmte, nicht mit zwei Brüdern, die es nicht ertragen könnten, sich vom Schlachtfeld fernzuhalten. Und dann war da noch dieser beunruhigende Brief von Meena...
Vor noch nicht langer Zeit hatte eine andere von Georgies indischen Freundinnen von hoher Abkunft, die liebe, reizende Meena, König Johar geheiratet, den mächtigen Maharadscha von Janpur. Gut aussehend und tapfer, ein Krieger und ein Poet, herrschte König Johar über eines der bedeutendsten Hindukönigreiche in Nordzentralindien. Seine königlichen Vorfahren hatten das Maratha-Reich mitbegründet, eine Vereinigung von sechs mächtigen Klans, mit Ländereien um Bombay und in den wilden Wäldern des Deccan Plateau.
Durch einen uralten Verteidigungsvertrag gebunden, der besagte, dass alle Verbündeten einander zur Hilfe eilen mussten, wenn eines der Königreiche angegriffen wurde, hatten sich die Marathakönige hundert
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