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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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und ich werde Ihnen jede Woche mein Geld bringen, bis alles bezahlt ist. Nicht wahr?« Der ältliche Angestellte sah sie etwas seltsam an. Dann seufzte er, nahm die drei Pfundnoten und griff, in die Flucht geschlagen, nach seinem Quittungsbuch. »Wie Sie wünschen, meine Dame«, sagte er resigniert. »Was die Geschäftsleitung dazu sagen wird, das weiß ich nicht. Hoffen wir, daß alles in Ordnung geht.«
    Was sie eigentlich, genaugenommen, in China mit sich anfangen wollte, wenn sie dort ohne einen Pfennig in der Tasche ankam und kein Wort Chinesisch verstand — das war ihr noch nicht recht klar. Aber sie war überzeugt — wenn sie auch nicht durch das theologische Nadelöhr der China-Inland-Mission gekommen war daß sie vorerst ihre Bibel gründlich studieren und sich zur Evangelistin ausbilden konnte. »Ich muß predigen lernen«, sagte sie zu sich selbst. »Ich muß lernen, zu den Leuten zu reden.«
    Und mit der Geradlinigkeit, die so charakteristisch für sie war, verwandte sie jeden Augenblick ihrer Freizeit dazu, sich am Hydepark oder an irgendeiner anderen Straßenecke zu postieren. Sie stieg auf eine Seifenkiste und sprach zu ihrem Publikum, unbeirrt davon, daß die meisten abweisend vorbeigingen oder sich auch offen über sie lustig machten. Müde Londoner, angetan mit ihren Stammesabzeichen, als da sind Gehrock, Melonenhut, zusammengefaltete Zeitung und eingerollter Regenschirm, schoben sich abends in Richtung Untergrundbahn dahin und stutzten einen Augenblick, wenn sie sich plötzlich an der Kreuzung von einem schmächtigen Mädchen in schwarzem Kleid aufgerufen hörten, nicht heimwärts, sondern zu Gott zu streben. Im Wettkampf mit Londons Verkehrslärm redete ihre dünne, tapfere kleine Stimme unermüdlich den Menschen zu, versuchte auf sie einzuwirken, und wenn auch von ihrem Starengezwitscher nicht viel mehr Notiz genommen wurde als von den kleinen schwärzlichen Steinvögeln, die Nelsons Säule zierten, so gab sie den Mut darum nicht auf.
    Zeigte sich vielleicht doch noch ein Weg zu ihrem Glück? Eines Tages schien es so. Durch Bekannte hatte sie von Frau Lawson gehört. »Eine prachtvolle alte Seele, weißt du. Dreiundsiebzig ist sie jetzt und arbeitet immer noch als Missionarin in China. Im letzten Jahr kam sie nach England, um sich zur Ruhe zu setzen; aber sie hielt es einfach nicht aus, und sie ging wieder nach China zurück. Sie meinte, dort könne sie besser ihre Tage beschließen. Neulich hat sie geschrieben, nur eines wünschte sie sich noch: eine Jüngere, die ihre Arbeit weiterführen könnte.«
    Gladys Aylward erinnerte sich, wie es ihr damals die Sprache verschlug in freudigem Schrecken, und wie sie endlich nichts anderes hervorbrachte als ein geflüstertes »Das bin ich! Das bin ich!«
    Sicher konnte sie Frau Lawson helfen. Sie schrieb sofort. Durfte sie zu ihr kommen? Sollte sie nach China fahren?
    Nun wurde es dringend, daß das Geld für die Eisenbahnfahrt zusammenkam. Im Hause Younghusband fand sie sich zu jedem Extradienst bereit. Nichts schien ihr zuviel, nichts zu anstrengend. Sie belagerte die Stellenvermittlungen, ihr für die freien Nachmittage oder über das Wochenende Stundenarbeit zu beschaffen. Sie bot sich an, bei großen Essen zu servieren, in der Küche zu helfen, wenn nötig, den ganzen Tag zu arbeiten und die Nacht dazu. Der Angestellte von »Millers Reisedienst« war inzwischen ihr guter Freund geworden; er wartete schon auf die eifrige junge Frau, die jeden Freitag an seinem Schreibtisch erschien und Summen brachte, die in Schillingen und Pennies ausgezählt und dann aufgerechnet wurden gegen die große, magische Summe — siebenundvierzig Pfund zehn Schillinge.
    Und dann dieser unvergeßliche Morgen, als der Brief mit den bunten, bizarren chinesischen Postmarken durch den Schlitz auf den Dielenboden fiel. Wenn sie es möglich machen könne, nach Tientsin zu kommen, schrieb Frau Lawson, würde ein Bote sie dort treffen und in die Provinz begleiten, wo sie selbst arbeitete.
    Das war eine Aufregung! Sie mußte sich sofort ihren Paß beschaffen! Sie mußte ihre Fahrkarte ganz bezahlen! Sie mußte überlegen, was einzupacken war! »Ich gehe nach China!« sagte sie zu allen Bekannten. »Ich gehe nach China!«
    Oh, was waren das für Tage! Sie lachte laut in der Erinnerung daran. Erregt versuchte sie, sich in ihrem Krankenhausbett aufzurichten.
    Die junge chinesische Pflegerin wandte sich zu einem Wärter, der eben hereingekommen war. »Sie ist verrückt im Kopf«, sagte

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