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Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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erkannte ihn.
    »Julius?«
    Der verschwundene Sohn der Bergers …? Sie verstand überhaupt nichts mehr.
    Er sagte immer noch nichts, aber sein Gesicht spannte sich an, wie unter einer alle Kräfte fordernden Anstrengung.
    »Was machst du?«
    Da war ihr Blick auf seine Füße gefallen, o Gott, seine Füße, oder was immer das war, und ein Schrei stieg in ihr hoch, blieb ihr in der Kehle stecken, wollte hinaus … Das waren keine Füße, keine menschlichen zumindest, das waren die Hinterbeine eines Tiers, längliche, fellbedeckte Läufe mit Krallen! Der Schrei drang nach außen, aber nur in Form eines erstickten Keuchens.
    »Gleich«, stöhnte der Junge. Julius. »Die Füße brauchen immer am längsten.«
    Was? Wovon redete er?
    »Einen Moment noch –«
    Wie gelähmt stand Lena da und sah zu, wie sich die Läufe verformten, langsam und zäh, wie das Fell dünner wurde, durchscheinender, und wie es schließlich verschwand und nur Haut zurückließ, wie sich die Krallen zu Zehennägeln umbildeten und die langgezogenen Hinterbeine zu menschlichen Füßen wurden. Julius ächzte während dieses gespenstischen Prozesses leise; was da vor sich ging, schien nicht nur anstrengend, sondern auch schmerzhaft zu sein.
    »Kann ich bitte etwas zum Anziehen haben?«, flüsterte der Junge schließlich. »Mir ist kalt.«
    »Was?« Lena war, als erwache sie aus einem schlechten Traum, nur um zu sehen, dass es kein Traum gewesen war. »Zum Anziehen …?« Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Ich weiß nicht, was ich dir da … welche Größe und so … für einen Jungen …«
    Julius zog die Beine an sich, rollte sich zusammen. Zu mehr schien er im Augenblick nicht in der Lage zu sein. »Im Raum nebenan. Dort, wo all die Schränke stehen … Also, in der untersten Schublade ganz rechts, da müsste ein grauer Trainingsanzug liegen.«
    Lena starrte ihn an, außerstande, sich zu bewegen.
    »Den habe ich die letzten Male immer getragen«, hauchte der Junge verlegen.
    Die letzten Male?, fuhr es ihr durch den Kopf. Also doch. Sie hatte sich nichts eingebildet. Es war beinahe eine Erleichterung, das zu hören.
    »Warte«, sagte Lena.
    Sie ging hinaus, öffnete die Tür zum Nebenraum, machte Licht. Tatsächlich, in der Schublade lag ein dicker grauer Trainingsanzug, der einst ihrem Vater gehört hatte. Er roch muffig, aber er war warm, einigermaßen jedenfalls. Darunter lagen dicke, handgestrickte Socken, die Lena ebenfalls herausnahm.
    Als sie damit in die Waschküche zurückkehrte, stand Julius da undwartete. Er schien seine Nacktheit überhaupt nicht zu bemerken, so, als habe er vergessen, was es damit auf sich hatte, nackt zu sein.
    Sie reichte ihm die Sachen. »Hier. Und jetzt würde ich gern erfahren, was hier los ist.«
    Er schlüpfte in die Hose. »An Weihnachten muss ich immer Mensch werden. An Heiligabend kurz vor Mitternacht geht es los, und irgendwann am nächsten Morgen ist es wieder vorbei.« Er warf ihr einen scheuen Blick zu, griff nach den Socken. »Ich bin die letzten Jahre immer hier im Haus gewesen, während Sie nicht da waren. Tut mir leid.«
    »Und wie bist du hereingekommen?«
    »Ich wusste, dass Sie Ihren Reserveschlüssel in der kleinen blauen Vase auf dem Fensterbrett im Anbau aufbewahren.« Er streifte das Oberteil über. »Ich hab Sie mal beobachtet, als ich noch klein war. Von einem der Bäume aus.«
    Lena nickte, in Gedanken ganz woanders. »Du sagst, an Weihnachten musst du Mensch werden … Was heißt das? Was bist du das restliche Jahr über?«
    Er zögerte. Dabei wusste sie schon, was er antworten würde.
    »Da bin ich ein Hund«, sagte er.
    Ein Fluch, durchfuhr sie die Erkenntnis. Ein Fluch lastet auf ihm, genau wie in den Märchen. Und heute Nacht ist die Gelegenheit, den Bann zu brechen.
    Lena sah sich blinzelnd um, betrachtete die Kellertür, den Schlüssel, der nun von innen steckte, die Waschmaschine, die auf dem Betonboden verstreute Schmutzwäsche, die kahlen Wände, die nach dem Krieg das letzte Mal gestrichen worden waren. »Wir müssen nicht hier unten in der Kälte herumstehen«, sagte sie. »Gehen wir nach oben. Möchtest du etwas essen?«
    »Ja, gern«, sagte Julius.
    Sie stiegen die Treppe hoch, und Lenas Gedanken nahmen Fahrt auf. Das Schicksal des Jungen hing jetzt von ihr ab, höchstwahrscheinlich zumindest. Sie durfte keinen Fehler machen, musste richtig entscheiden … Die plötzliche Last der Verantwortung nahm ihr fast den Atem.
    »Was möchtest du?«, fragte sie, als sie die

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