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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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denn?«
    »Ich schätze, fünfundzwanzig.«
    Freese ließ Memopad und Stift seufzend sinken. »Verarschen kann ich mich alleine.«
    »Ich schwöre es beim Grab meines Vaters«, versicherte Pavlov. »Fünfundzwanzig. Plus minus drei Jahre.«
    »Es gibt keine fünfundzwanzigjährigen Frauen an Bord, das weißt du so gut wie ich.« Beim Start des Schiffes waren alle Kolonisten zwischen einundzwanzig und dreißig Jahren alt gewesen. Heute waren sie in den Vierzigern, abgesehen von den während der Reise geborenen Kindern, von denen nur eine äußerst überschaubare Anzahl älter als vierzehn war. »Es wird eine von den Bordgeborenen gewesen sein. Eine auf erwachsen geschminkte Sechzehnjährige.«
    »Hätte ich dich gebraucht, wenn es so wäre?«, fragte Pavlov unlustig.
    »Mmh«, machte Freese. Das war freilich eine berechtigte Frage. Auf die die Antwort ›Nein‹ lautete. Er ließ die Blenden wieder zufahren und musterte Pavlov aufmerksam im pissgelben Licht der altersschwachen Leuchtelemente. »Schon mal überlegt, ob es ein Traum gewesen ist?«
    Pavlov zerrte ärgerlich am Halsausschnitt seines Overalls und entblößte einen in allen Farben schillernden Bluterguss. Bissspuren waren zu erkennen. »Schon mal einen Traum gehabt, der so was zurücklässt?«
    Freese überlegte. Die einzige andere Erklärung, die ihm einfiel, war eigentlich zu fantastisch, um wahr zu sein. Aber es war eben die einzige andere Erklärung. »Das wird nicht leicht«, seufzte er. »Mit anderen Worten, teuer.«
    Pavlov griff in die Tasche und holte ein Sammelsurium verschiedener Plastikmarken mit holografischen Prägungen hervor. »Das ist alles, was ich habe. Zwei Kleidergutscheine, hundertzwanzig Narko-Punkte und zehn Ruhetagsmarken.«
    Scheiße, der Typ konnte nicht mal verhandeln. »Nicht viel«, sagte Freese, obwohl es natürlich eine Menge war. Zehn Ruhetage!
    »Was? Für das verschwundene Halsband von Patrizia wolltest du nur einen Kleidergutschein und fünfzig Narko-Punkte!«
    »Da hat sie dir was Falsches erzählt.« Vor allem hatte sie den sexuellen Bestandteil ihrer Abmachung verschwiegen. Freese schob das Memopad ein. »Außerdem war das ein leichter Auftrag, und das hier wird richtig schwierig. Sagen wir, die Kleiderpunkte und die Ruhetage als Anzahlung, und zweihundert Narko-Punkte, wenn ich die Frau gefunden habe.« Aus Narko-Punkten machte er sich ohnehin nichts, weil er weder Alkohol noch sonstige Drogen mochte; die Punkte waren nur gut zum Handeln. Aber von Ruhetagen konnte er nicht genug bekommen: ganze Tage in einem schallgedämpften, zwanzig Quadratmeter großen Einzelzimmer mit einer Frischluftzufuhr, die wie Meeresrauschen klang – die beste Annäherung an das Paradies, die an Bord zu haben war.
    »Also gut«, meinte Pavlov und trennte sich von seinen Schätzen. Es musste eine wahrhaft beeindruckende Frau gewesen sein.
     
    Die einzige andere Erklärung war, dass die Gerüchte, die seit Jahren kursierten, doch mehr waren als Gerüchte: dass beim Start eine Gruppe illegaler Kolonisten an Bord gelangt war, die sich seither in einem Unterschlupf im Maschinensektor versteckt hielt. Wenn die damals Kinder dabeigehabt hatten – und eine Menge Leute hatten versucht, mit ihren Kindern von der Erde zu entkommen –, dann waren diese Kinder inzwischen über zwanzig, und Pavlovs Geschichte konnte stimmen.
    Freese lag auf seinem Bett, die oberste Koje zum Glück, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Zimmerdecke dicht vor dem Gesicht und versuchte nachzudenken, wenn es schon mit dem Schlafen nicht klappen wollte. Die Luft war mal wieder zum Schneiden dick, und der dicke Pete unten hatte die Decke über den Kopf gezogen, rubbelte sich einen herunter und stöhnte so vernehmlich dabei, dass es doch jeder mitbekam.
    Was natürlich sorgfaltig bedacht sein wollte, war, wie er mit einer solchen Entdeckung umgehen würde, gesetzt den Fall, er stieß auf etwas Derartiges. Zweifellos würde das etwas sein, das einen dazu verpflichtete, dem Kommandanten Meldung zu erstatten. Was wiederum die Gefahr unangenehmer Fragen heraufbeschwor, die er so beantworten zu wissen musste, dass seine halblegalen Praktiken und Tauschgeschäfte nicht ruchbar wurden. Alles nicht so einfach.
    Pete stieß endlich seinen finalen Quieklaut aus und wurde still. Der Duft von Sperma breitete sich aus. Einen Moment lang war nichts zu hören als das immerwährende, alles durchdringende Summen der Maschinen, jener dunkle, leise Ton von weit her, der vor

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