Eine ungezaehmte Lady
Fackeln hoch, um die Umgebung zu beleuchten.
Unter lautem Johlen schubste die Menschenmenge einen Deputy, ihren Deputy, die Straße hinunter. Er hatte die Hände auf dem Rücken gefesselt, wehrte sich gegen seine Peiniger und stemmte dabei die Absätze seiner Stiefel so tief in den Boden, dass Furchen entstanden.
An einem hohen Baum angekommen, warf einer aus der mordlüsternen Horde ein Seil über einen tief hängenden Ast. Zwei Männer stülpten dem Polizisten eine Henkerschlinge über den Kopf.
Er sträubte sich immer noch, als man ihn unsanft auf den Rücken eines Pferdes verfrachtete.
3
W enn der Deputy starb, würde Lady sich ewig Vorwürfe machen.
Sie hatte ihn doch nur aus der Stadt jagen und nicht gleich umbringen wollen. Offenbar hatte er die Gäste im Saloon gewaltig gegen sich aufgebracht. Hatte er denn nicht bemerkt, dass die Männer betrunken und auf Streit aus waren? Immerhin war Bend dafür berüchtigt, dass Recht und Gesetz hier nichts galten.
Aber eigentlich spielte es keine Rolle, wie er an das falsche Ende eines Henkersstricks geraten war. Sie musste ihn retten, wenn sie ihrer stetig anwachsenden Liste nicht noch einen weiteren Grund für Schuldgefühle hinzufügen wollte.
Sie stieß einen leisen Fluch aus und holte tief Luft. Da ihre Widersacher in der Überzahl und außerdem bewaffnet waren, musste sie sie überrumpeln, um überhaupt eine Chance zu haben, ihn zu befreien.
Sie wendete Jipsey und ritt durch einige Seitengassen zum Ende der Main Street, wo sie im Schutze der Dunkelheit ihr Halstuch hochzog, um ihr Gesicht zu tarnen. Dann vergewisserte sie sich, dass ihr Gewehr lose im Lederhalfter am Sattel steckte. Zu guter Letzt beugte sie sich vor und flüsterte ihrer Stute etwas ins Ohr. Schnell wie der Blitz setzten sie sich in Bewegung.
Als sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit die Straße entlangpreschte, wirbelten die Hufe der Stute Schlamm und Abfälle auf. Lady riss die Winchester aus dem Halfter, zielte über die Köpfe der mordlüsternen Menge hinweg und feuerte einen Schuss in die Luft ab, um sie zu verscheuchen.
Doch die Meute erstarrte nur vor Schreck, was nicht das gewünschte Ergebnis war. Erst als sie einigen der Männer die Hüte vom Kopf fegte, liefen sie los und suchten Deckung.
Der Deputy saß auf einem honigfarbenen Pferd mit blondem Schwanz und blonder Mähne. Ein prachtvolles Tier. Wirklich beeindruckend. Allerdings keine gute Wahl für einen Gesetzeshüter, der eigentlich allen Grund hatte, sich bedeckt zu halten. Vielleicht war er ja ein Angeber. Jedenfalls musste sie sein tänzelndes Pferd beruhigen. Wenn es durchging, war es aus und vorbei mit ihm. Sie flüsterte Jipsey etwas zu. Die Stute wurde langsamer und wieherte laut, bis ihr Artgenosse sie wahrnahm. Das Pferd zitterte zwar, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Lady hätte gern mehr Licht gehabt, um besser sehen zu können. Schließlich wollte sie den Gesetzeshüter nicht treffen und so den Mördern die Arbeit abnehmen. Also zielte sie sorgfältig und drückte ab. Daneben. Sie bemühte sich, die Hände ruhig zu halten, holte tief Luft und schoss noch einmal. Der zweite Schuss durchtrennte das angespannte Seil.
Der Deputy, die Schlinge noch um den Hals und die Hände auf dem Rücken gefesselt, sackte nach vorne. Allerdings war er geschickt genug, im Sattel zu bleiben und sein Pferd zum Galopp anzutreiben.
Lady packte seine Zügel und wendete Jipsey durch ein Zusammendrücken der Knie. Gemeinsam preschten sie, gefolgt von Schreien und Schüssen, die Straße hinunter. Lady duckte sich tief in den Sattel, um so wenig Zielfläche wie möglich abzugeben. Dabei betete sie, dass der Deputy kräftig genug war, um nicht aus dem Sattel zu kippen. Leider war das helle Fell seines Pferdes nicht zu übersehen. Sie konnte also nur hoffen, dass die Verfolger zu betrunken waren, um richtig zu zielen, auch wenn sie sich normalerweise nicht auf ihr Glück verließ.
Nicht weit von hier, am Nordufer des Red River, wartete die Rettung. Während Bend hinter ihnen zurückblieb, hielt Lady die Zügel des anderen Pferdes fest umklammert und trieb ihre Stute zur Höchstgeschwindigkeit an, fest entschlossen, einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen, nur für den Fall, dass die Mörderbande ihnen nachreiten sollte.
Jetzt stellte sich bloß noch die Frage, was sie mit dem Deputy anfangen sollte. Er war kein Bandit, sondern ein Vertreter des Gesetzes, weshalb er vom Regen in die Traufe kommen würde, wenn sie ihn in
Weitere Kostenlose Bücher