Eine ungezaehmte Lady
eines der üblichen Verstecke brächte. Außerdem durfte er nichts von der Existenz dieser Unterschlüpfe erfahren. Sonst würde er womöglich später wiederkommen und genau die Banditen verhaften, die sie brauchte, um sie zu Copper zu führen.
Allerdings blieb ihr nicht viel anderes übrig, denn wenn die Verfolger sie erwischten, würde sie neben dem Ordnungshüter am Galgen baumeln. Eine mordlüsterne Lynchmeute würde sie ohne Schminke und Satinkleid womöglich nicht als Lady erkennen und vermutlich erst bemerken, dass sie eine Frau vor sich hatten, wenn es längst zu spät war. Wäre sie nur nicht so übermütig gewesen. Dann hätte sie einfach ihr Lied zu Ende gesungen und wäre durch die Hintertür verschwunden, ohne ihn zur Rede zu stellen. Und nun musste sie ausgerechnet den Mann retten, der sie hinter Gitter bringen wollte.
Sie bog in einen Geheimpfad der Banditen ein, der sie in bekanntes Gebiet führen würde. An einem Busch unweit der steilen Ufer des Red River wurde Jipsey langsamer und umrundete eine Kurve, hinter der sie außer Sichtweite waren. Lady zügelte die Pferde und sprang aus dem Sattel.
Während der Morgen bereits fahlgrau dämmerte, hastete sie, mit einem Zweig bewaffnet, den Pfad zurück, wo sie innehielt und nach Verfolgern horchte. Nichts. Rasch und rückwärts gehend verwischte sie mit dem Laub die Hufspuren, bis sie wieder im sicheren Gebüsch angelangt war. Am helllichten Tag hätte sie keinen guten Spurensucher damit täuschen können, doch vielleicht würden sie so zumindest ein wenig Zeit gewinnen.
Der Deputy sah ziemlich mitgenommen aus: kein Hut, aufgeplatzte Lippen und eine blutige Nase. Die Banditen hatten ihn ordentlich in die Mangel genommen. Trotzdem hielt er sich, mit letzter Kraft und fest entschlossen, im Sattel.
Sie tätschelte ihm beruhigend das Knie. Als sich seine Muskeln daraufhin verspannten, lief ihr ein heißer Schauer über den Rücken. Nur ungern nahm sie die Hand wieder weg. So zerschlagen er auch sein mochte, rief sein Anblick noch immer Bilder von brünstigen Hengsten und Stuten in ihr wach. Wie gerne wäre sie ihm als wirkliche Dame begegnet. Doch unter den gegebenen Umständen durften sich ihre Wege nie wieder kreuzen.
»Danke, Fremder«, sagte er. Seine Stimme war ein rauer Bariton.
Ruckartig zog sie die Hand weg und schalt sich für ihre eigene Schwäche. Auch wenn sie ihn noch so anziehend fand, konnte sie keine zusätzlichen Komplikationen gebrauchen. Niemals durfte er erfahren, dass sie die Lady mit dem Colt war. Und deshalb musste sie sich von ihm fernhalten.
»Schlinge runter.« Er beugte sich vor.
Sie mühte sich mit dem derben Strick ab und versuchte, den Knoten zu lösen, aber vergeblich. Gleichzeitig spitzte sie die Ohren, ob sich womöglich die Lynchmeute näherte. Während sie heftiger an dem Strick zerrte, klammerte er sich mit den Knien fest, was sicherlich nicht einfach war.
»Beeil dich«, drängte er.
»Das Ding rührt sich nicht«, erwiderte sie leise und mit verstellter Stimme. Sie gab es auf und ließ die Hände sinken. Eigentlich hätte sie ihr Messer benutzen sollen, doch die Zeit reichte nicht. »Der Schlüssel zu den Handschellen?«
»Den haben sie mir abgenommen.«
Seufzend warf sie einen Blick in die Richtung, wo Bend lag. »Aufschießen geht nicht. Zu laut.«
»Ich kann reiten.«
Als sie wieder sein Knie tätschelte, spürte sie, dass es feucht und klebrig war. »Du blutest.«
»Macht nichts.«
»Tut es doch. Wenn du umkippst, fällst du vom Pferd.«
Da es ihr nicht gelang, Schlinge und Handschellen zu entfernen, musste sie einen anderen Weg finden, damit er im Sattel blieb und es wohlbehalten über den Red River schaffte. Also würde sie zuerst seine Wunde verbinden, damit er nicht zu viel Blut verlor.
Als sie sich Jipsey näherte, hörte sie in ihrem Kopf – einmal, zweimal, dreimal – das drängende Wiehern eines Pferdes. Sie stolperte, und ein Schauder überlief sie. Epona, ihr Totempferd, erteilte ihr eine Warnung, die außer ihr niemand hören konnte. Genauso war sie an dem Morgen geweckt worden, als ihre Eltern gestorben waren. Es drohte Gefahr.
Im nächsten Moment war am Anfang des Pfades das Klirren von Zaumzeug zu hören. Ein Geräusch, das es wirklich gab. Keine Zeit zu verlieren. Sie zerrte ihr Lasso von Jipseys Sattel, hastete zu dem Deputy hinüber und band ihn an seinem Pferd fest. »Ganz ruhig. Ich hole uns hier raus.«
Sie sprang in den Sattel, zerrte an den Zügeln seines Pferdes und trieb
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