Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
zu fühlen. Er konnte sich nicht dazu überwinden, das Blut zu berühren.
»Das klingt mir allmählich nach einem Verhör«, sagte Rudy Nasser jetzt. »Zander, ich glaube, Sie sollten nichts mehr sagen, bis Sie mit einem Anwalt gesprochen haben.«
»Warum sollte er denn mit einem Anwalt sprechen?«, fragte Vince. »Wir betrachten Zander nicht als Verdächtigen.«
Nasser erhob sich, und es war klar, dass es als Aufforderung zum Gehen gemeint war. »Belassen wir es dabei.«
Vince Leone rührte sich nicht vom Fleck. Er saß entspannt auf seinem grünen Stuhl, einen Arm auf die Lehne gestützt. Er war ein großer Mann, und er machte nicht den Eindruck, als könnte ihn jemand zum Gehen bewegen, bevor er von sich aus dazu bereit war.
»Wollen Sie das, Zander?«, fragte er. »Wollen Sie, dass wir gehen? Oder wollen Sie uns helfen, Marissas Mörder zu finden?«
»Er weiß nicht, wer die Frau umgebracht hat«, sagte Nasser ungehalten. »Warum reden Sie nicht mit Leuten, die einen Grund hatten, sie umzubringen? Warum reden Sie nicht mit ihren Freunden?«
»Kennen Sie ihre Freunde?«, fragte Mendez und zückte Notizbuch und Stift.
Nasser wich seinem Blick aus, zögerte. »Na ja … Ich …«
»Sie kennen sie nicht«, sagte Mendez, der allmählich die Geduld verlor. »Sie spucken hier bloß große Töne.«
»Von ihrer Kunst konnte sie sich dieses Haus jedenfalls nicht leisten«, gab Nasser zurück. »Die Rechnungen hat jemand anderes bezahlt.«
»Aber Sie wissen nicht, wer.«
Darauf erwiderte Nasser nichts.
»Mr Nasser«, sagte Vince ruhig. »Wenn Sie etwas zu sagen haben, das uns weiterhilft, dann tun Sie es. Wenn Sie uns nur mit abfälligen Bemerkungen über eine Frau, die sich nicht mehr wehren kann, ablenken wollen, dann sollten Sie besser den Mund halten.«
»So war sie nicht«, sagte Zahn und schaukelte stärker hin und her. »So war sie nicht.«
Nasser schloss die Augen. »Um Himmels willen, Zander. Sie hatte ein Kind. Wer war der Vater? Wo ist er?«
»Sie wissen es nicht. Sie wissen nichts von ihr. Sie wissen überhaupt nichts.«
»Aber Sie wissen, dass sie keine Heilige war.«
Zahn sprang unvermittelt auf, versetzte Nasser einen heftigen Stoß gegen die Brust und schrie: » SIE WISSEN NICHTS VON IHR !«
Nasser, der nicht mit einem solchen Angriff gerechnet hatte, taumelte nach hinten, verlor das Gleichgewicht und landete hart auf dem Kies.
Zahn schüttelte wieder und wieder seine Hände.
»Oh Gott. Oh Gott«, murmelte er. »Es tut mir leid. Es tut mir sehr leid. Ich muss jetzt gehen. Ich muss gehen. Es ist Zeit zu gehen.«
Er drehte sich um und lief zurück ins Haus, so wie er an diesem Morgen von Marissa Fordhams Haus weggegangen war, die Arme steif an den Körper gepresst.
Mendez und Vince erhoben sich von ihren Stühlen. Mendez’ Blick wanderte von dem Professor zu dessen Schützling, der sich gerade wieder hochrappelte, und schließlich zurück zu Vince Leone. »Wenn ich ein Kind auf diesem College hätte, würde ich mein Geld zurückverlangen.«
12
In einem früheren Leben war Kathryn Worth womöglich eine Königin gewesen. Alles an ihr wirkte majestätisch: die aufrechte, stolze Haltung, das Gesicht mit der aristokratischen Nase, die langen goldblonden Haare. Wenn sie etwas missbilligte, tat sie das mit einem eisigen Blick aus stahlblauen Augen kund – einem Blick, der selbst gestandene Männer zusammenzucken und den Kopf einziehen ließ.
In diesem Leben war Kathryn Worth Staatsanwältin. Sie war zweiundvierzig und hatte hart gearbeitet, um diese Position in einem nach wie vor von Männern dominierten Bereich zu erlangen – und sie machte keinen Hehl aus ihrem Wunsch, auf der Karriereleiter ganz nach oben zu klettern. Sie war klug, kompetent und kompromisslos, drei Eigenschaften, mit denen sie es in ihrem Beruf weit bringen würde.
Diesen Eigenschaften und ihrem Geschlecht hatte sie die Traumrolle der Hauptanklägerin im Fall Staat Kalifornien gegen Peter Crane zu verdanken.
Bezirksstaatsanwalt Ed Benton, ein Mann, der seit zwanzig Jahren nicht mehr selbst als Ankläger aufgetreten war, hatte nicht lange gezögert, diesen Fall Kathryn Worth zu übertragen, die den Gerichtssaal beeindruckend oft als Siegerin verließ. Bei einem heimtückischen Verbrechen an einer Frau die Anklage von einer Frau vertreten zu lassen hatte ihm Lob in den Medien und von der Mehrheit der liberal gesinnten Einwohner von Oak Knoll eingebracht.
Anne hatte nichts gegen Bentons Entscheidung einzuwenden.
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