Eine Zuflucht aus Rosen
wie schimmernde, graue Mondsteine, die in einem vollkommenen Oval leuchteten, umrahmt vom Schleier einer Nonne. Hohe Wangenknochen zeichneten weiche Schatten in helle, glatte Haut. Eine Haut frei von Makel, bis auf eine kleine Sommersprosse neben einer Augenbraue. Der Mund, der sich gerade zu einem erfreuten Lächeln verzogen hatte, war geformt aus weichen, rosa Lippen, die weder zu schmal noch zu voll waren.
„Wie fühlt Ihr Euch?“ Das war wieder jene Stimme, jene zarte und weiche, zu deren Klang er aufgewacht war. Eine Stimme, die zu diesem Gesicht passte. „Könnt Ihr sprechen, Mylord?“
Gavin wusste, was er sagen wollte, aber er fand nicht die Kraft die Worte zu formen. Als sie ihm einen Schluck Wasser anbot, vermochte er lediglich die Lippen zu öffnen, als sie eine Tasse an seine Lippen presste. Das hölzerne Gefäß fühlte sich rau an, aber das Wasser glitt kühl und glatt seine ausgedörrte Kehle hinab.
„Um die anderen hat man sich gekümmert.“ Es war Thomas, der nun sprach, beinahe als hätte er gewusst, was sein Herr fragen wollte. Unter großer Anstrengung drehte Gavin den Kopf zu ihm. „John und Robert hat das Fieber gepackt und man sieht Tag und Nacht nach ihnen, aber die Verletzungen der anderen sind geringfügiger und sie werden sich voraussichtlich gänzlich erholen.“
„Wo sind wir?“ Gavin rang seiner Kehle die Worte ab und sie kamen wie gutturales Stöhnen hervorgekrochen.
„Kloster Lock Rose.“ Es war die Frau – die Madonna –, die wieder sprach. „Es hat mich überrascht, dass Ihr uns gefunden habt, denn wir sind gut verborgen – so wie es unserem Wunsch entspricht.“
Vage erinnerte Gavin sich an den dichten, verschlungenen Wald, wo das Tor zum Kloster wie aus dem Nichts aufzutauchen schien. Er nickte unter Schmerzen und es gelang ihm noch einmal zu sprechen. „Wo ist dieser Ort hier?“
„Tief im Wald, mehrere Reisestunden von Mancassel. Auch dort haben nur wenige Kunde von uns.“
Mancassel. Gavins vernebelter Verstand klarte genug auf – und da begriff er, wie weit sie nach dem kleinen Scharmützel weitergereist waren, wo ihn fast der Tod ereilt hätte. Seine Lippen verzogen sich.
Fantin de Belgrume konnte nicht wissen, dass sie Obdach gefunden hatten – er musste annehmen, dass sie in der Wildnis verendet waren, nachdem er und seine Männer sie zurückgelassen hatten, in der Annahme sie wären tot. Das war womöglich sein Plan gewesen: Der Hinterhalt sollte nicht dazu dienen, Gavins Truppen tief im Wald zu töten, sondern nur dazu, sie so schwer zu verwunden – und das so weit von jedweder Hilfe entfernt –, dass sie auf der Suche nach Hilfe verrecken würden.
Nur der Gnade Gottes war es zu verdanken, dass er und seine Männer den Weg hierher gefunden hatten, zu dieser Zuflucht in einem verlassenen Kloster. Und dass er weiterhin am Leben war, um Fantin de Belgrume eines Tages doch noch zu töten. Er lächelte die Madonna an und stellte eine letzte Frage. „Wie ist Euer Name, Schwester?“
„Madelyne.“
* * *
Die Perlen lagen ihr ganz vertraut in den Händen, die unregelmäßigen Konturen der nach Rosen duftenden Kugeln waren ihren Fingern willkommen. Es war die erste Kette von Gebetsperlen, der erste Rosenkranz, den sie angefertigt hatte, nachdem sie in das Kloster Lock Rose gekommen war, und Madelyne betete immer noch mit diesen Perlen, obwohl sie in den zehn Jahren seither schon viele andere gefertigt hatte.
„ Ave Maria, gratia plena ...“ Die Worte kamen ihr leicht, ohne Zögern, über die Lippen, selbst als ihre Gedanken einen anderen Weg einschlugen. Meistens, wenn sie bei der Frühmette betete, kreisten ihre Gedanken um die spirituelle Kontemplation und nicht um Männer – so wie jene, die verwundet in der Krankenstation lagen. Es geschah nicht allzu oft, dass Außenseiter – insbesondere Männer – in das Kloster kamen.
Jene, die sich Obdach oder eine Zuflucht erbaten, waren willkommen, auch wenn man sie nicht in jene Teile des Klosters ließ, wo die ständigen Bewohner lebten. Im Gästehaus und in den Zimmern für Kranke, war die Einrichtung schlicht und karg. Aber im Kloster selbst lebten die Frauen mit deutlich mehr Komfort. Die Äbtissin Berthilde bestand darauf: Den Wohlstand des Klosters geheim zu halten, diente nicht nur dem Schutz ihrer Reichtümer sondern auch dem Schutz der Frauen vor der Außenwelt.
Und in der Tat: In den Wochen, nachdem sie und ihre Mutter der Burg ihres Vaters entflohen waren, waren sie bei jedem
Weitere Kostenlose Bücher