Eine Zuflucht aus Rosen
ertragen mussten. Seltsame Symbole, eingeritzt in den Steinfußboden, verschmolzen ineinander, als Dunkelheit und Angst sich wieder niedersenkten, und wieder ... und wieder.
Niemand vermochte ihre Schreie zu hören, noch ihre Rufe um Erbarmen.
Lederriemen ... übelriechendes Gebräu ... das Kreischen eines Falken, der wegen der Kappe nichts sah, aber spürte, wie man ihm die Federn ausrupfte ... der durchdringende Geruch von verbranntem Fleisch ... sein Lachen, glatt und tief, wie der Klang von einem Donner weit weg...
Madelyne zwang ihre Augen dazu, sich zu öffnen, und schob den Traum beiseite, als sie noch blind nach ihrem Rosenkranz griff. Die Finsternis des Alptraums ging ihr noch etwas nach und sie versuchte verzweifelt ihn von sich weg zu weisen. Ave Maria, gratia plena...
Automatisch murmelte sie diese Worte, atmete den süßen, fast entschwundenen Duft von Rosen aus den Perlen ein. Ganz allmählich verebbte die Furcht und sie wurde sich wieder der vertrauten Umgebung ihrer Zelle hier im Kloster gewahr.
Eine winzige Andeutung von Licht durchschnitt die Dunkelheit und verjagte ihre Träume, verlieh ihrer Truhe und dem dreibeinigen Schemel wieder Gestalt. Der schwache Umriss des Kruzifixes, aus Weidenästen geflochten, das einen Teil der gegenüberliegenden Wand bedeckte, gab ihr Trost.
Bald würde die Dämmerung anbrechen und Madelyne wusste, sie würde in dieser Nacht nicht mehr einschlafen können. Immer noch aufgewühlt von ihren Erinnerungen und deren Wildheit, glitt sie langsam aus dem Bett. Sie trug nur ein dünnes Hemd, als sie sich aus einer flachen Schüssel das Gesicht mit Wasser benetzte und an einem kleinen Zweig Minze kaute. Ihr Ordenskleid für Novizinnen, das ebenfalls aus fest gewebtem Leinen gefertigt war, war nichts als ein schlichtes, schwarzes Kleid und ein großes Kopftuch, das ihre beiden dicken Zöpfe restlos bedeckte.
Da sie nun schon einmal wach war, würde sie nachsehen, wie es ihren Patienten ging, und sie würde Schwester Nell früher als sonst bei der Nachtwache ablösen. Sie steckte sich den Rosenkranz in eine verborgene Tasche ihres Kleides, die einzig und allein diesem Zweck diente. Dann verließ Madelyne ihre Zelle und ging schnellen Schrittes durch die Halle, hin zum Eingang des Klosters.
Draußen neigte die Sommernacht sich langsam ihrem Ende zu und das Grau der einsetzenden Dämmerung ergab sich dem blassen Gelb des anbrechenden Tages. Ein Duft von Rosen hing schwer in der Luft, zusammen mit dem vom Regen, der am Vorabend hier durchgezogen war.
Obwohl die Mauern vom Kloster Lock Rose in der Tat von dichtem Wald umgeben waren, war es innerhalb derselben Mauern so sonnig und offen wie in einem Park des Königs. Überall blühten üppige Gartenanlagen und es gab viel offenen Raum, so dass die Bewohner es nicht vermissten, wenn sie nicht nach draußen gehen konnten.
Sie war innerhalb dieser Mauern so glücklich, dass Madelyne sich nur selten fragte, wie es wohl wäre, außerhalb davon zu sein.
Bei den Kranken war Schwester Nell gerade mit dem Wechseln eines Verbands am Arm von einem der verwundeten Männer fertig. Sie schaute hoch, als Madelyne durch die Tür hereinschlüpfte, und ihr von Altersflecken übersätes Gesicht verzog sich in unzählige Falten des Willkommens.
„Einen guten Morgen Euch, Schwester Madelyne“, begrüßte sie Madelyne mit ihrer tiefen, kratzigen Stimme. „Ihr seid früh auf, aber das ist recht, da ich müde bin und vor der Frühmette gerne noch etwas schlafen würde. Alles ist ruhig.“
„Das Fieber ist nicht gekommen?“ Madelyne blickte zu der Bettstatt von einem Mann, der sich unruhig im Schlaf drehte.
„Bislang nicht. Man muss ein Auge auf ihn haben.“ Nell wies mit einem knochigen, arthritischen Finger auf ihn, „aber noch gibt es keine Anzeichen.“
Von den Männern schliefen alle ruhig und als Nell gegangen war, wanderte Madelyne zwischen den Schlafstätten hindurch, um nach ihren Patienten zu sehen. Sie verspürte dabei gleichermaßen Neugier wie ein bisschen Furcht. Das hier waren Männer des Kampfes – groß und stark gebaut, mit Wunden und Schnitten, Narben und Schwertern. Sie hatten jeden Tag den Tod an ihrer Seite und tief drinnen schauderte es sie bei dem Gedanken.
Sie würde die Welt, in der sie lebten, nie kennen lernen – jene Welt aus Zorn und Schlachten und Blutvergießen, aus Gier und Politik –, noch wünschte sie diese jemals kennen zu lernen. Ihr Leben war der Hingabe zu Gott geweiht – dafür, dass er
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