Einem Tag in Paris
Sie beugt sich vor, nimmt eifrig alles in sich auf. Einen Augenblick lang hatte Jeremy sie ganz vergessen. Sie sind ins Englische übergewechselt. Chantal spricht fließend Englisch! Sie hat einen amerikanischen Akzent! Wieder verändert sich alles in dem Kaleidoskop, das diese junge Frau ist. Ich weiß nichts über sie, begreift Jeremy. Und ich dachte – er unterbricht sich in seinen Gedanken. Was dachte er? Dass er mit ihr schlafen wollte? Dass er sie lieben wollte? Das erscheint ihm jetzt lächerlich. Er ist genauso albern wie der Mann mit dem baumelnden Penis am Set.
Dana nimmt eine Tasse Tee von ihrer Assistentin entgegen und trinkt einen Schluck. »Ich spiele eine reiche Amerikanerin, die mit ihrem Ehemann nach Paris gekommen ist. Sie geht shoppen, während der Mann seine Geschäftstermine hat. Aber irgendwann im Verlauf des Tages sieht sie ihn, wie er mit einem jungen Mädchen durch den Park schlendert.«
»Wer hat diesen Film geschrieben?«, unterbricht Jeremy sie. Sein Herz schlägt schnell, seine Handflächen sind feucht. Es ist nasskalt in diesem Zelt, und der Regen trommelt hart auf den Zeltstoff, erzeugt eine Art Summen, als wäre in der Nähe ein Bienenstock.
»Claude«, sagt Dana. »Der junge Mann, den du beim Dinner kennengelernt hast.«
»Das ist ein Kind«, schnaubt Jeremy verächtlich.
»Ein sehr aufgewecktes Kind.«
»Was weiß er denn schon von Liebe?«
»Du bist so lustig, Darling«, sagt Dana.
Jeremy sieht sie verdutzt an.
Sie lächelt ihn an, mit ihrem breiten, liebenswürdigen Lächeln. Sie streckt eine Hand aus und berührt seinen Arm. »Nicht alle wissen so zu lieben wie wir.«
Jeremy ist verloren. Er findet keine Worte – in keiner Sprache. Sein Verstand brodelt und bringt nichts zu Stande.
Und dann fliegt die Eingangsplane des Zelts auf, und Lindy stürmt lachend herein.
»O mein Gott, war das irre! Total irre! Wie konnte das denn passieren? Ich meine, dieses Gewitter mitten in der Szene! Es war, als hättet ihr es so geplant.« Sie schüttelt ihren Körper wie ein nasser Hund, und Wasser spritzt in alle Richtungen. Sie ist strahlend – der Glanz ihrer Kopfhaut scheint ihr Gesicht zu erhellen.
»Und dieses Mädchen auf dem Bett«, sagt Jeremy. »Das war Pornografie.«
»Sie sind ja immer noch hier.« Lindy starrt Chantal an.
»Lindy …«, sagt Jeremy.
Chantal erhebt sich. »Ich muss los.«
»Nein«, sagt Dana. »Sie ist unhöflich. Sie sind jetzt mein Gast. Bitte bleiben Sie.«
Chantal sieht Jeremy an. Er nickt. »Kein Grund zu gehen«, sagt er matt.
Chantal wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Der Unterricht ist sowieso zu Ende. Und ich bin mit zwei anderen Privatlehrern verabredet.«
»Wie kommt es, dass Sie so gut Englisch sprechen?«, fragt Jeremy.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagt Chantal.
»Ich möchte wetten, sie hatte einen amerikanischen Freund«, sagt Lindy. »So lernt man eine Sprache. Im Bett.«
Chantal lächelt und errötet.
»Ich bringe Sie hinaus«, sagt Jeremy.
»Das ist nicht nötig …«
»Bitte«, beharrt er.
Sie nickt. Sie wendet sich noch einmal zu Dana um. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagt sie auf Französisch. »Danke für die Chance, Ihnen bei der Arbeit zuzusehen.«
Dana tritt auf sie zu. Sie küsst Chantal auf beide Wangen.
»Sie sind ein entzückendes Mädchen«, sagt sie. »Ich bin froh, dass mein Mann die Gelegenheit hatte, seine Woche mit Ihnen zu verbringen.«
Wieder schießt Chantal die Röte in die Wangen. Sie wendet sich an Lindy. »Au revoir et bonne chance.«
»Wofür brauche ich denn Glück?«, fragt Lindy.
Chantal lächelt nur.
Sie verlässt das Zelt, und Jeremy folgt ihr.
Der Regen hat aufgehört, und auf der Brücke ist jetzt eine bemerkenswerte Umgestaltung im Gange. Eine Gruppe junger Männer in schwarzen T-Shirts, auf denen BOSS’S BOYS steht, wirft Farne über die Metallkonstruktion der Brücke. Das Bett ist verschwunden, und jemand hat an seiner Stelle eine Palme aufgestellt.
»Pascale hat den Verstand verloren«, murmelt Jeremy.
Chantal lacht.
»Das ist wie Zauberei«, sagt sie.
»Vermutlich«, sagt Jeremy lächelnd. »Ich bin wohl ein bisschen zu ernst.«
»Das gefällt mir«, sagt Chantal.
Sie unterhalten sich wieder auf Französisch – das ist die Sprache, die sie die ganze Woche gemein hatten, und Jeremy fällt es schwer, mit ihr englisch zu reden. Er wünschte, sie könnte gar kein Englisch; irgendwie hat das alles zwischen ihnen verändert. Wenn er hängen bleiben
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