Einem Tag in Paris
Schauspieler durchnässt werden.
Lindy stürmt voran durch das Gedränge.
»Sind Sie sicher …«, sagt Jeremy. Er will, dass Chantal sagt: Gehen wir. Gehen wir irgendwohin, wo es still ist.
»Oh, ich kann es kaum erwarten, die Dreharbeiten zu sehen!«, sagt sie. Natürlich, sie ist geblendet von dem Star. Das sind alle. Alle bis auf ihn. Kann er seine Frau lieben und den Star hassen?
Jeremy nimmt Chantal beim Ellenbogen und manövriert sie durch die Menge. Pascale hat einen großen Platz in der Mitte der Brücke frei geräumt. Dort steht das Bett, mit einem einzigen rosenfarbenen Laken überzogen. Keine Decke, keine Kissen. Das Laken ist zerknautscht, als ob es bereits benutzt wurde.
Der Himmel verdüstert sich, und ein Donner grollt – die Menge stößt ein kollektives Ooooh! aus. Sie warten auf ein Drama, und das nahende Gewitter schürt ihre Erwartungen. Noch passiert nichts am Set, aber die Schaulustigen sind verstummt. Jeremy sieht Gaffer zu beiden Seiten der Seine, in drei oder vier Reihen hintereinander, die gehorsam die Anweisungen auf den Schildern befolgen, die ein paar junge Crewmitglieder hochhalten: Silence!
Jeremy findet Lindy vorn am Rand des Sets, und er hilft Chantal, sich neben sie zu zwängen. Dann setzt er sich selbst in die Lücke zwischen ihnen. Er kennt nur wenige der Filmleute, die sich um Pascale drängen – er erkennt sie von dem letzten Film, den Dana mit ihr gedreht hat, vor vier Jahren. Einer von ihnen war gestern Abend bei dem Dinner – ein junger Franzose, der mit Pascale an dem Drehbuch gearbeitet hat. »Er ist brillant«, sagte Dana zu Jeremy, während der junge Mann eine lange Geschichte von der Revolution der Einwanderer erzählte, die sich in den banlieues von Paris zusammenbrauen würde. Und pompös, dachte Jeremy, aber er sagte kein Wort. Jetzt zupft der junge Mann Danas allzu großes Hemd zurecht, knöpft die zwei obersten Knöpfe auf. Er ist nicht von der Kostümabteilung, denkt Jeremy. Was hat er dann dort zu schaffen? Aber Pascale sieht zu ihm hinüber und nickt – offenbar soll Dana entsetzlich aussehen und gleichzeitig ihre Brüste entblößen.
Pascale ruft ein paar Befehle und nimmt dann ihren Platz auf dem Regiestuhl ein. Auf dem Stuhl steht: BIG BOSS . Er war ein Geschenk einer früheren Crew, und jetzt benutzt Pascale ihn für jeden Film. Das mit dem BIG gefällt Pascale. Sie ist kaum einen Meter fünfzig groß.
Wieder grollt der Himmel, und Pascale klatscht und hebt die Hände zum Himmel. Ein paar Leute lachen.
Und dann sind sie bereit, die Szene zu drehen. Jeremy fragt sich, wie das so schnell gehen konnte, aber vielleicht hat sich so manches geändert, seit er das letzte Mal bei Filmaufnahmen zugesehen hat. Wir werden uns ein, zwei Szenen ansehen und dann weitergehen, denkt er.
Es herrscht Stille, und dann betreten ein Mann und eine Frau den Set. Sie tragen Bademäntel. Sie legen die Mäntel ab und reichen sie einer jungen Frau an ihrer Seite. Sie sind nackt. Ein gedämpftes Stöhnen wird in der Menge laut. Pascale hebt eine Hand, und alle verstummen. Eine Frau schlägt die Klappe, und die Kameras beginnen zu laufen.
Jeremy wirft einen Blick auf Chantal – sie ist völlig gebannt. Und dann Lindy – ihr steht der Mund offen. Jeremy will ihr am liebsten eine Hand über die Augen halten. Aber natürlich, sie ist zwanzig, sie hat schon nackte Jungen gesehen. Männer.
Chantal verlagert ihre Haltung, und er spürt den Druck ihres Arms an seinem. Sie zieht ihn nicht zurück.
Die Frau ist sehr jung, kaum älter als Lindy. Sie ist blond, und ihre Haut ist gespenstisch weiß – sie sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Engel und kindlicher Prostituierter. Ihr Körper ist absolut vollkommen – klein und kurvenreich mit Brüsten, die so rund wie Äpfel sind. Jeremy sieht, dass ihr Schamhaar rasiert ist! Kein Wunder, dass sie wie ein Kind aussieht. Was sie zu bieten hat – Sex und Unschuld –, hat irgendetwas Beunruhigendes an sich, etwas Pornografisches, findet er.
Sie geht auf das Bett zu und legt sich hin. Sie scheint kein bisschen schüchtern wegen ihrer Nacktheit zu sein. Jeremy denkt an die Kinder, die hier am Kai stehen und zusehen. Aber wir sind in Paris, denkt er dann. Und einen Augenblick lang fragt er sich, was für eine Altersfreigabe dieser Film bekommen könnte. Natürlich, Dana hat noch nie einen Film mit pornografischem Inhalt gedreht – das wäre das Ende ihrer Karriere. Sie ist eine klassische Schauspielerin, wie eine
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