Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
überholten den Greis links und rechts, bremsten abrupt vor ihm ab und schlugen nach hinten aus. Der Alte wich einen Schritt zurück, die schlammigen Hufe der Ponys verfehlten ihn nurum Haaresbreite. Er zeigte sich davon unbeeindruckt, es schien eine Art Spiel zu sein, das er den Ponys gönnte.
Hinter der Koppel Richtung Gebirge verdichteten sich die Baumskelette zu einem Mischwald, der sich über mehrere Hügelzüge bis hinauf in die Gebirgsausläufer zog. Selbst im Hochsommer war die Luft hier kühl und unverbraucht. Auf der anderen Straßenseite hatte die halbherzige Rodung des Waldes eine Moorlandschaft hinterlassen: Teiche und Tümpel, verbunden durch Farnstreifen, schmiegten sich aneinander. Die saftigen Grasknäuel schmatzten unter unseren Gummistiefeln, Matsch stieg auf und warf Blasen. Aus kleinen Inseln ragten vereinzelt, kahl und ausgehöhlt, abgestorbene Bäume wie Gekreuzigte in die von warmen Strömungen und Mückenknäueln durchwalkte Luft. Föhnböen kämmten den wippenden Farn zu welligen Striemen. Das Licht über der Tümpelebene flirrte, Grün ging über in Gelb und Rot, jeder einzelne Farn schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Die Ponys, die auf der anderen Seite im Dunkeln standen, hoben manchmal ihre Köpfe dieser flirrenden Helligkeit entgegen, die keine Quelle hatte und in die hinein die Autos rasten mit schreienden Kindern an den Fenstern. Weiter entfernt, von der Straße aus nicht zu sehen, lagen die Mülldeponie, der Campingplatz und die Fußballfelder des örtlichen Vereins. Wir patrouillierten amStraßenrand, wechselten die Seiten, streiften durch die Farne, hüpften von Insel zu Insel, versanken im Matsch.
Die Spätlaicher, die wir über die Bundesstraße trugen, waren keine Kröten, es waren ordinäre Wasserfrösche. »Seefrösche und ihre Bastarde«, klärte Johanna mich auf. Niemand beachtete sie. Sie würden nie wie ihre Verwandte, die Geburtshelferkröte, zum Tier des Jahres werden. Der örtliche Naturschutzbund spendierte ihnen keine Zäune. Sie waren nicht vom Aussterben bedroht, bedenkenlos überließ man sie dem Ferienverkehr.
»Die Weibchen nehmen die Männchen huckepack«, dozierte Johanna weiter, »sie tragen sie bis zu den Laichgewässern, da legen sie die Eier ab, und die Männchen geben die Spermien dazu.«
Ich hatte insgeheim damit gerechnet, dass wir keine einzige Amphibie retten würden, dass weder Frösche noch Kröten da sein würden. Auch die Huckepacksache, dachte ich, war eine Ausnahmeerscheinung, die auf den Fotos der Naturschutzorganisationen breitgetreten wurde, um Aufmerksamkeit für diese wenig populären Erscheinungen des Tierreichs zu erwecken, doch es mehrten sich die Anzeichen dafür, dass Johanna recht hatte. Wir waren sogar fast schon zu spät, schien es, die Straße war übersät mit dunklen Flecken. Und tatsächlich: Grotesk aussehende Doppeldecker krochen mühsam und unbeholfenden kleinen Anstieg Richtung Leitplanke hinauf. Die Männchen waren nur äußerst instabil auf den Rücken der größeren Weibchen installiert und drohten jeden Moment abzustürzen. Johanna wagte es nicht, die Paare, so wie sie es in den Broschüren gelesen hatte, zusammen in den Eimer zu werfen. Sie schob behutsam jedes Paar einzeln in ihre Handfläche und legte dann die andere Hand schützend darüber. Ich trippelte neben ihr her und suchte den Boden nach weiteren Paaren ab. Hatte ich eines entdeckt, winkte ich Johanna heran. Bereitwillig ließen die Frösche sich in ihre Hand fallen, zogen die Beine an und machten keine Versuche, zu entkommen. Es sah so selbstverständlich aus, wie sie die Tiere einfing, als wäre es Teil des Fortpflanzungsprogramms.
Johanna verwandelte sich hier draußen. Das Steife, Soldatische ihrer Haltung, ihrer Bewegungen, ja sogar ihres Gesichtsausdrucks, das ihrer Erscheinung etwas Fanatisches verlieh, wich einer tierhaften Selbstversunkenheit. Während ich jeden Schritt genau austarieren musste und, sobald ich das nicht tat, sofort danebentrat und knöcheltief im Matsch stand, huschte sie mühelos von Insel zu Insel, wendete blitzschnell, wann immer es nötig war, und setzte die Frösche schließlich am Rand eines Tümpels ab.
Ich erinnere mich nicht an Gespräche, vielleicht an ein paar Sätze hier und da, Monologe, die ich in ihren Rücken sprach. Ich erinnere mich: an das Spiel ihrerSchulterblätter, zwei Ovale, die sich unter ihrem T-Shirt abzeichneten, an die Hände, die plötzlich ins Haar fuhren, es fassten und zu einem Knäuel
Weitere Kostenlose Bücher