Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Schneeberge türmen, Absatzschuhe, halbblickdichte Strümpfe, einen schmalen, braunen Wollmantel mit Pelzbesatz, unter dem die Spitze eines Unterkleids hervorlugte, und eine unbedeckte diffizile Hochsteckfrisur, dann verhielt es sich mit der an und für sich vernünftigen Strickjacke darunter ähnlich wie mit Religion und Musik – sie fiel nicht mehr ins Gewicht. Dergestalt waren alle Tatsachen und Vorfälle, die Frau Luger von der Gemeinschaft der Hinterlandfrauen ausschlossen und für die ich sie aus der Ferne bewunderte.
Als ich dann Johannas Freundin geworden war und Frau Luger in ihrem großen Haus, dem über Generationen vererbten Elternhaus ihres Mannes, regelmäßig begegnete, erschien mir das wie ein großes Privileg, das ich allen Hinterlandbewohnern voraushatte. Andererseits wusste ich auch, dass ich die Einzigewar, die diesen Umstand als Privileg zu schätzen wusste. Ich hatte mir Frau Luger in dem düsteren Bauernhaus wie eine exilierte Königin vorgestellt und war dann, als ich ihr dort tatsächlich begegnete und Johanna sie mir auf dem Weg in ihr Zimmer auf dem Flur flüchtig vorstellte, erstaunt, wie verloren und überhaupt nicht königinnenhaft sie mit einem Wäschekorb zwischen holzvertäfelten Wänden stand, von denen aus die tüchtigen Gesichter der Vorfahren ihres Mannes auf sie herabsahen. Sie trug auch hier ihre Absatzschuhe, die weitschwingenden Röcke, doch schienen die leuchtenden Blumen darauf nichts gegen die unsichere und ungeschickte Art ausrichten zu können, mit der sie den Wäschekorb hielt oder den Knopf an dem veralteten, wuchtigen Staubsaugerkasten drückte, um das Kabel, das sie allerdings nicht rausgezogen hatte, einzuziehen. Sie streckte mir ihre Hand entgegen, vergaß jedoch, den Wäschekorb vorher abzusetzen. Ich hielt Frau Lugers Hand lange in meiner, zwischen uns fielen Wäschestücke vom Korb auf den Boden, sie wurde verlegen, entzog ihre Hand aber nicht, sondern wandte ihren Blick von mir ab und lenkte ihn auf die Adern, die an der gedehnten Innenseite ihres Handgelenks hervortraten und sich in der Handfläche, in der noch immer ein Henkel des inzwischen fast geleerten Wäschekorbs lag, wieder einebneten. Johanna verdrehte die Augen und ging in ihr Zimmer. Ich bückte mich undhalf ihrer Mutter, die Wäsche zurück in den Korb zu legen. Es war nicht das einzige Mal, dass Frau Luger Dinge fallen ließ.
Sie war auffallend ungeschickt und langsam in allen häuslichen Verrichtungen. Alltägliche Arbeiten wie Gemüse putzen, Kartoffeln schälen, Blumen gießen oder die Spülmaschine ausräumen, Vorgänge, die meine Mutter und andere Hinterlandfrauen nebenher erledigten, Arbeiten, die sie so traumwandlerisch vollbrachten, dass sie uns Kindern, bis wir selbst für sie herangezogen wurden, gar nicht aufgefallen waren, forderten Frau Lugers ganze Konzentration. Wenn sie mit Stahlseide im Spülbecken einen Topf reinigte und Johanna ihr vom Flur aus, wo sie sich die Schuhe band, erklärte, was Frau Luger ihr aus dem Supermarkt mitbringen sollte, oder einfach nur mitteilte, dass wir jetzt in den Wald gingen, dann hielt Frau Luger sofort in der Bewegung inne, wandte sich, den Topf noch an einem Henkel fassend, uns zu und zog dabei die Hand mit dem Topf nach, so dass er laut scheppernd gegen das Spülbecken krachte, Johanna verdrehte wieder die Augen. »Was, Johanna? Was hast du gesagt?«, fragte Frau Luger in einem zaghaften Ton, wie ich ihn bei Hinterlandfrauen nie gehört hatte. Johanna machte dann eine wegwerfende Handbewegung, ich kannte diese Geste nur aus Filmen. Es war eine Geste, die Männer machen, wenn sie nicht mehr weiterreden wollen,weil es ihnen zu anstrengend wird und sie denken, dass diese Anstrengung sich nicht lohnt. Weil Frau Luger, die in der Zwischenzeit bemerkt hatte, dass Wasser aus der Stahlseide, die sie noch immer umklammert hielt, auf den Boden tropfte, sich wieder dem Spülbecken zugewandt hatte und deswegen diese Geste nicht mehr sehen konnte, schickte Johanna noch Worte hinterher. »Ist schon gut«, sagte sie und drückte die Türklinke. Ich stand immer noch einige Sekunden im Flur herum, wollte irgendetwas Nettes zu Frau Luger sagen oder zumindest Johannas Einkaufswünsche für sie wiederholen, doch ich wusste, dass das Johanna verärgert hätte, und deshalb beließ ich es meist bei einem Lächeln.
Ich glaube, Frau Luger spürte meine Zuneigung. Manchmal, wenn ich Johanna abends nach unseren Streifzügen noch bis nach Hause begleitete und mich von ihr
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