Eines Greifen Ei
Hamilton ließ sich in den Sitz zurücksinken. Nach einer Pause sagte sie: »Weißt du was? Ich habe noch nie einen Sonnenuntergang auf dem Mond beobachtet. Ich komme nicht oft an die Oberfläche.«
»Daran müssen wir wohl etwas ändern«, sagte Gunther.
Beth blickte ihm eindringlich ins Gesicht. Dann lächelte sie. Sie rutschte näher zu ihm hinüber. Ungelenk legte er ihr einen Arm auf die Schulter. Genau das schien sie von ihm erwartet zu haben. Er hustete mit vorgehaltener Hand, dann streckte er deutend einen Finger aus. »Da geht sie hin.«
Der Sonnenuntergang auf dem Mond war eine schlichte Angelegenheit. Die Kraterwand berührte den unteren Rand der Sonnenscheibe. Schatten hüpften von den Hängen und flossen über das Flachland. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die halbe Sonne verschwunden war. Glatt, ohne Unebenheiten, verringerte sie sich immer weiter. Schließlich brannte nur noch ein glitzerndes silbernes Licht auf dem Felsen, dann hörte auch das auf. Während des Augenblicks, in dem sich die Windschutzscheibe anpaßte und die Sterne erschienen, füllte sich das Universum mit Dunkelheit.
Die Luft in der Kabine wurde kühler. Die Platten der Innenverkleidung knarrten und krachten wegen des plötzlichen Temperatursturzes.
Jetzt kraulte Beth ihn seitlich am Hals. Ihre Haut fühlte sich bei der Berührung etwas rauh an und verströmte einen schwachen, aber deutlich wahrnehmbaren Geruch. Sie fuhr mit der Zunge rund um sein Kinn und schob sie ihm ins Ohr. Ihr Hände fummelten an den Schnallen seines Anzugs herum.
Gunther verspürte nicht die geringste Erregung, sondern nur eine mäßige Abneigung, die an Ekel grenzte. Das hier war schrecklich, eine Verunglimpfung all dessen, was er für Ekatarina empfunden hatte.
Doch es war eine Pflicht, die er erfüllen mußte. Beth Hamilton hatte recht. Sein ganzes Leben lang war sein Hinterkopf für sein Verhalten ausschlaggebend gewesen, hatte ihn mit Emotionen gesteuert, die chemisch erzeugt und aufs Geratewohl angewendet wurden. Er war an den Gaul des Bewußtseins angeschirrt und gezwungen gewesen, mit ihm überall hinzutraben, und dieses alptraumhafte Hin und her hatte ihm nur Schmerz und Verwirrung beschert. Jetzt, da er die Zügel in die Hand genommen hatte, konnte er das Pferd dahin lenken, wohin er wollte.
Er war sich nicht sicher, was er von seiner Programmierung fordern wollte. Vielleicht Zufriedenheit. Sex und Leidenschaft, das ziemlich sicher. Aber keine Liebe. Er hatte die Nase voll von romantischen Sinnestäuschungen. Es war Zeit, erwachsen zu werden.
Er drückte Beths Schulter. Noch einen Tag, dachte er, dann macht es mir nichts mehr aus. Ich werde das empfinden, was für mich am besten ist zu empfinden. Beth hob ihren Mund dem seinen entgegen. Seine Lippen öffneten sich. Er roch ihren warmen Atem.
Sie küßten sich.
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