Einfach losfahren
gefühlt hatte. Kein Mensch unterwegs, die Stadt ganz leer. Ich sehnte die Kehrmaschine herbei, die die Straßen abspritzt, und kurz darauf kam sie tatsächlich. Alles war perfekt, alles passte zusammen. Die laue Nacht, die Farbe der Dinge, die Lichter, die sich auf dem nassen Straßenpflaster spiegelten, und die beiden, die lachten und sich auf diese spezielle Weise über mich lustig machten, zwei Freundinnen, die sich nur anzuschauen brauchten. Freundinnen mit einem Code aus Blicken und Schlüsselwörtern, die urplötzlich losprusten, und man selbst steht da wie ein Hornochse, der ihnen in die Fänge geraten ist. Jedenfalls war diese Nacht wunderbar, wir gingen herum und setzten uns dann auf die Stufen vor dem Dom. Nur eins nervte, dass ich manchmal Francesca etwas fragte und Silvia für sie antwortete. »Ich hab nicht dich gefragt!«, hätte ich sie am liebsten angefahren. Francesca blieb etwas zugeknöpft, und wenn sie mit etwas nicht einverstanden war, sprach sie es gleich an. Ein paar Mal korrigierte sie mich sogar, wenn ich etwas Falsches gesagt hatte. Sie machte den Eindruck einer Frau, die alles gibt, aber nichts geschenkt.
Kurz bevor der Morgen graute, gingen wir frühstücken. Vom herzhaften Pizzageschmack zu süßen Hörnchen. Als wir bei Silvias Auto ankamen, fragte ich Francesca, ob ich sie nach Hause bringen solle.
»Kann ich dich nach Hause bringen?«
» Soll ich dich nach Hause bringen, heißt das.«
»Ach… entschuldige. Also, wenn du möchtest, kann ich dich nach Hause bringen!«
Sie lächelte, sah Silvia an und kam mit mir. Endlich allein. Vor ihrem Haus blieben wir im Auto sitzen und unterhielten uns. Ich spielte ihr ein paar Lieder vor. Wenigstens in Sachen Musik fühlte ich mich sicher. Ich wollte sie küssen. Das war das Einzige, wonach ich mich in diesem Moment sehnte. Ihre Lippen spüren, sie schmecken. Darin lag ein Versprechen und das Geheimnis eines nie gegebenen Kusses.
Sie reichte mir ihre Nummer und stieg aus. Ich wartete, bis sie durch die Haustür verschwand. Ich war so auf Wolke sieben, dass ich gern den Wagen gestartet hätte und wie eine Rakete davongeschossen wäre, doch als ich den Zündschlüssel drehte, merkte ich, dass wir zu lange bei ausgeschaltetem Motor Musik gehört hatten und die Batterie leer war. Eine Viertelstunde später halfen mir zwei Jungs, die gerade vorbeikamen. Während ich schob, hoffte ich, dass Francesca nicht aus dem Fenster schaute.
Ich verlängerte den Heimweg, um die Batterie wieder aufzuladen. Ich war schon ganz verliebt. Aber sich verlieben kann jeder, das passiert allen mal. Einen Menschen lieben, das ist etwas anderes.
Das musste ich erst lernen.
Hatten sie nun miteinander geschlafen oder nicht?
Als ich aufwachte, war aus dem Morgen schon Nachmittag geworden, und ich war noch immer aufgeregt, vor allem aber neugierig. Ich wollte alles über sie wissen. Ich wollte ihr gegenübersitzen und ihr beim Essen zusehen, um herauszufinden, wie sie es tat. Ich wollte wissen, was für ein Gesicht sie beim Aufwachen machte. Herausfinden, wie sie im Supermarkt den Einkaufswagen schob, ob sie zu denen gehörte, die ihn irgendwo stehenlassen und ihn in mehreren Gängen füllen, oder zu denen, die ihn immer bei sich haben. Ich wollte erfahren, wie sie in der Konditorei einen Kuchen aussuchte und ob sie, nachdem sie im Kaffee gerührt hatte, den Löffel gegen den Rand schlug, bevor sie ihn auf die Untertasse legte. Ich wollte wissen, wie sie sich in der Toilette hinsetzte, um zu pinkeln, ob sie der Typ war, der dabei schon ein Blatt Toilettenpapier in der Hand hält. Ein Bild, das ich besonders mag. Ein Sinnbild des Wartens. Die Ellbogen auf den Oberschenkeln, den Blick ins Nichts gerichtet, und diese Gewissheit über die Zukunft in der Hand.
Nach dem Aufwachen blieb ich noch ein bisschen im Bett liegen, damit ich sie mir in aller Ruhe vorstellen konnte. Ich malte mir aus, ich wäre mit ihr am Meer. Sie hatte auch für mich einen Pareo mitgebracht. Woher wusste sie, dass ich den immer vergesse? Sie zog ihn aus ihrer Tasche, in der alles Mögliche drin war: Bürste, Sonnencreme, Sonnenbrille, Haargummi und ganz unten, weil sie immer ganz unten sind, Schlüssel und Zigaretten. Dort unten auf dem Grund der Taschen spielen sich wunderschöne Liebesgeschichten zwischen Zigarettenschachteln und Schlüsseln ab; deshalb findet man sie manchmal auch so schwer, sie versuchen nämlich sich zu verstecken, um dort bleiben zu können. Ich sah zu, wie sie den Kopf in
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