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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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nicht einen davon hätte ein Gegner geschlungen, der ihn wirklich hätte fesseln wollen. Diese ganze Angelegenheit mit den Stricken ist ein schlauer Trick, um uns denken zu lassen, er sei das Opfer des Streites statt des unseligen Glass’, dessen Leiche im Garten versteckt sein mag oder in den Kamin geschoben wurde.«
    Daraufhin herrschte ein ziemlich bedrücktes Schweigen; das Zimmer wurde dunkel, die von der See verbrandeten Äste der Gartenbäume sahen noch dürrer und schwärzer aus als sonst, ja sie schienen sich dem Fenster genähert zu haben. Fast konnte man sich einbilden, sie seien Seeungeheuer wie Kraken oder Tintenfische, sich windende Polypen, die aus der See heraufgekrochen seien, um das Ende dieser Tragödie zu sehen, so wie einst er, ihr Bösewicht und ihr Opfer, der schreckliche Mann im Zylinder, aus der See herangekrochen war. Denn die ganze Atmosphäre war voll vom Pesthauch der Erpressung, die das pesthafteste aller menschlichen Gebresten ist, denn sie ist ein Verbrechen, das ein Verbrechen verhüllt; ein schwarzes Pflaster auf einer schwärzeren Wunde.
    Das Gesicht des kleinen katholischen Priesters, das gewöhnlich zufrieden und sogar etwas komisch aussah, hatte sich plötzlich durch ein sonderbares Runzeln verknotet. Es war das nicht die blanke Neugier seiner ersten Unschuld. Es war vielmehr jene schöpferische Neugier, die auftaucht, wenn einem Mann die Anfänge eines Gedankens kommen. »Sagen Sie das bitte nochmal«, bat er schlicht und zugleich beunruhigt; »meinen Sie wirklich, daß Todhunter sich ganz allein zusammenschnüren und sich ganz allein wieder aufschnüren kann?«
    »Genau das meine ich«, sagte der Doktor.
    »Jerusalem!« rief Brown plötzlich. »Ich möchte wissen, ob es nicht das sein kann!«
    Er hoppelte wie ein Kaninchen durchs Zimmer und blickte mit ganz neuer Lebhaftigkeit in das halbbedeckte Gesicht des Gefangenen. Dann kehrte er der Gesellschaft sein eigenes ziemlich albernes Antlitz zu. »Ja, das ist es!« rief er in einer gewissen Erregung. »Können Sie es dem Mann nicht am Gesicht ablesen? Sehen Sie doch nur in seine Augen!«
    Sowohl der Professor wie das Mädchen folgten der Richtung seines Blickes. Und obwohl der breite schwarze Schal die untere Hälfte von Todhunters Gesicht vollständig verbarg, wurde ihnen etwas Angespanntes und Intensives in der oberen Hälfte bewußt.
    »Seine Augen sehen sonderbar aus«, rief die junge Frau heftig bewegt. »Ihr seid gemein; ich glaube, es tut ihm weh!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Dr. Hood; »die Augen haben sicherlich einen eigenartigen Ausdruck. Aber ich würde diese querlaufenden Faltungen eher interpretieren als Ausdruck einer gewissen psychischen Abnormität – «
    »Ach Quatsch!« rief Father Brown: »könnt Ihr denn nicht sehen, daß er lacht?«
    »Lacht!« wiederholte der Doktor aufgeschreckt. »Aber worüber in aller Welt kann er denn lachen?«
    »Naja«, erwiderte Hochwürden Brown entschuldigend, »ich will da ja nicht drauf herumreiten, aber ich glaube, er lacht über Sie. Und in Wahrheit bin ich durchaus geneigt, auch über mich zu lachen, jetzt da ich es weiß.«
    »Jetzt da Sie was wissen?« fragte Hood in leichter Verzweiflung.
    »Jetzt da ich weiß«, erwiderte der Priester, »welchen Beruf Mr. Todhunter hat.«
    Er hoppelte wieder durch das Zimmer, sah sich einen Gegenstand nach dem anderen mit einer Art leeren Starrens an und brach dann jedesmal in eine ebenso leere Art Lachens aus, ein äußerst verwirrender Vorgang für jene, die ihm zuzuschauen hatten. Er lachte sehr über den Hut, noch brüllender über das zerbrochene Glas, aber das Blut auf der Degenspitze stürzte ihn geradezu in lebensgefährliche Lachkrämpfe. Dann wandte er sich zu dem kochenden Spezialisten um.
    »Dr. Hood«, rief er begeistert, »Sie sind ein wahrhaft großer Poet! Sie haben ein ungeschaffenes Wesen aus dem Nichts heraufbeschworen. Wieviel gottähnlicher ist das doch, als wenn Sie nur die einfachen Tatsachen herumgeschnüffelt hätten! Wirklich, die einfachen Tatsachen sind im Vergleich dazu reichlich gewöhnlich und komisch.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte Dr. Hood reichlich hochmütig; »meine Tatsachen sind alle unausweichlich, wenngleich naturgemäß unvollständig. Ein gewisser Platz mag vielleicht der Intuition eingeräumt werden (oder der Poesie, wenn Sie das Wort bevorzugen), aber nur, weil die entsprechenden Einzelheiten gegenwärtig noch nicht gesichert werden können. In der Abwesenheit von

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