Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
beschränkten Gemeindeverantwortlichkeiten sehen nur diese spezielle Mrs. MacNab mit ihrer speziellen Geschichte von den zwei Stimmen und einem großen Mann aus der See. Aber der Mann mit wissenschaftlicher Vorstellungskraft sieht die ganzen Sippen der MacNabs gleichsam über die ganze Erde verstreut, in ihrer letztlichen Durchschnittlichkeit so einförmig wie eine Vogelart. Er sieht Tausende von Mrs. MacNabs in Tausenden von Häusern, wie sie ihre kleinen Tröpfchen Morbidität in die Teetassen ihrer Freunde träufeln; er sieht – «
Ehe der Wissenschaftler seinen Satz abschließen konnte, erscholl von draußen ein weiteres und ungeduldigeres Pochen; jemand in raschelnden Röcken wurde eilends durch die Gänge geleitet, und die Tür öffnete sich einem jungen Mädchen, anständig gekleidet, aber durcheinander und vor Eile feuerrot. Sie hatte vom Seewind verwehtes blondes Haar und wäre von vollendeter Schönheit gewesen, wenn es nicht ihre Wangenknochen gegeben hätte, die in der schottischen Art nach Form und Farbe zu stark betont waren. Ihre Entschuldigung war fast ebenso schroff wie ein Befehl.
»Tut mir leid, Sie zu unterbrechen, Sir«, sagte sie, »aber ich mußte Father Brown gleich nachlaufen; es geht schließlich um Leben oder Tod.«
Father Brown kam in einiger Verwirrung auf die Füße. »Was ist denn los, Maggie?« fragte er.
»Soweit ich das feststellen kann, ist James ermordet worden«, antwortete das Mädchen und atmete immer noch schwer vom rennen. »Der Mann Glass war wieder bei ihm; ich habe sie ganz deutlich durch die Tür reden gehört. Zwei verschiedene Stimmen: denn James spricht leise und kehlig, aber die andere Stimme war hoch und zittrig.«
»Der Mann Glass?« wiederholte der Priester in einiger Verblüffung.
»Ich weiß, daß sein Name Glass ist«, antwortete das Mädchen in großer Ungeduld. »Ich hab ihn durch die Tür gehört. Sie haben sich gestritten, wohl um Geld – denn ich habe James immer wieder sagen hören ›Das ist richtig, Mr. Glass‹ oder ›Nein, Mr. Glass‹, und dann ›Zwei oder drei, Mr. Glass‹. Aber wir reden viel zu viel; Sie müssen sofort mitkommen, vielleicht ist noch Zeit.«
»Zeit wofür?« fragte Dr. Hood, der die junge Dame mit offenkundigem Interesse studiert hatte. »Was gibt es da mit Mr. Glass und seinen Geldsorgen, was solche Dringlichkeit nahelegt?«
»Ich hab versucht, die Tür einzubrechen, und hab es nicht gekonnt«, antwortete das Mädchen kurz. »Dann bin ich in den Hinterhof gerannt und bin aufs Fensterbrett geklettert, von wo man ins Zimmer kucken kann. Alles war dunkel und schien leer zu sein, aber ich schwöre, daß ich James wie ein Häufchen in einer Ecke liegen sah, als ob er betäubt oder erwürgt wäre.«
»Das ist sehr ernst«, sagte Father Brown, schnappte sich seinen wanderlustigen Hut und seinen Schirm und stand auf; »übrigens habe ich gerade diesem Herrn hier Ihren Fall vorgetragen, und seine Meinung – «
»Hat sich entschieden verändert«, sagte der Wissenschaftler ernst. »Ich glaube nicht, daß diese junge Dame so keltisch ist, wie ich angenommen habe. Und da ich nichts anderes zu tun habe, werde ich mir meinen Hut aufsetzen und mit Ihnen in die Stadt hinabgehen.«
Einige Minuten danach näherten sie sich alle drei dem trübseligen Ende der Straße der MacNabs: das Mädchen mit dem festen und atemlosen Schritt des Bergbewohners, der Kriminologe in lässiger Anmut (die nicht ohne eine gewisse leopardenähnliche Schnelligkeit war), und der Priester in einem energischen Trab ohne jede erkennbare Eigenschaft. Der Anblick dieser Ecke der Stadt war nicht gänzlich ohne erkennbare Rechtfertigung für die Hinweise des Doktors auf trostlose Stimmungen und Umgebungen. Die verstreuten Häuser standen weiter und weiter voneinander entfernt, in einer gebrochenen Reihe entlang der Seeküste; der Nachmittag verging in einer verfrühten und halb gespenstischen Dämmerung; die See war von tintigem Purpur und düsterem Raunen. In dem winzigen Garten der MacNabs, der zum Sandstrand hinunterlag, standen zwei schwarze kahle Bäume aufrecht wie vor Erstaunen erhobene Dämonenhände, und als Mrs. MacNab die Straße herabgelaufen kam, um sie mit mageren, ähnlich ausgestreckten Händen zu empfangen, schien sie fast selbst ein Dämon. Der Doktor und der Priester antworteten kaum auf ihre schrillen Wiederholungen der Geschichte ihrer Tochter, die sie von sich aus mit noch mehr beunruhigenden Einzelheiten anreicherte, auf ihre geteilten
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