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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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gekleidet, mit rosaroter Krawatte, einem steifen Kragen und grellgelben Schuhen. Es gelang ihr in der wahren Tradition ‘Arrys zu Margate, gleichzeitig auffallend und gewöhnlich auszusehen. Als aber diese Cockney-Erscheinung näher kam, bemerkte Muscari erstaunt, daß sich der Kopf auffällig vom Körper unterschied. Es war ein italienischer Kopf: kraushaarig, dunkel und mit lebhaftem Mienenspiel, der jäh aus dem Stehkragen wie aus Karton und der komischen rosaroten Krawatte aufragte. Tatsächlich war es sogar ein Kopf, den er kannte. Er erkannte ihn über all dieser gräßlichen englischen Ferienaufmachung als das Gesicht eines alten, wenngleich vergessenen Freundes namens Ezza. Dieser Knabe war das Wunderkind seiner Schule gewesen, und europaweiter Ruhm war ihm bereits versprochen, als er noch kaum fünfzehn zählte; doch als er ins Leben hinaustrat, scheiterte er, zunächst öffentlich als Dramatiker und Redner und dann während endloser Jahre privat als Schauspieler, Handlungsreisender, Geschäftsvertreter und Journalist. Muscari hatte ihn zuletzt hinter den Scheinwerfern auf der Bühne erblickt; er war mit den Aufregungen jenes Berufes nur zu vertraut gewesen, und allgemein ward angenommen, daß ihn irgendeine Herzenskatastrophe verschlungen habe.
    »Ezza!« rief der Poet, erhob sich und schüttelte ihm in angenehmer Überraschung die Hände. »Ich hab dich im grünen Salon zwar schon in mancherlei Kostüm gesehen; aber ich habe niemals erwartet, dich je als Engländer verkleidet zu erblicken.«
    »Dieses«, sprach Ezza feierlich, »ist nicht das Kostüm eines Engländers, sondern das des Italieners der Zukunft.«
    »In diesem Fall«, bemerkte Muscari, »bekenne ich, daß ich den Italiener der Vergangenheit vorziehe.«
    »Das ist dein alter Fehler, Muscari«, sagte der Mann im Tweed und schüttelte den Kopf; »und der Fehler Italiens. Im 16. Jahrhundert begann mit uns Toskanern der neue Tag: Wir hatten den modernsten Stahl, die modernsten Skulpturen, die modernste Chemie. Warum sollten wir nicht auch jetzt die modernsten Fabriken, die modernsten Motoren, das modernste Finanzwesen haben – und die modernste Kleidung?«
    »Weil es sich nicht lohnt, sie zu haben«, antwortete Muscari. »Man kann die Italiener nicht wirklich fortschrittlich machen, dazu sind sie zu intelligent. Menschen, die eine Abkürzung zum angenehmen Leben kennen, werden niemals die neuen ausgeklügelten Straßen fahren.«
    »Naja, aber für mich sind Marconi oder D’Annunzio die Sterne Italiens«, sagte der andere. »Und deshalb bin ich Futurist geworden – und Reiseführer.«
    »Reiseführer!« lachte Muscari. »Ist das der neueste Beruf auf deiner Liste? Und wen führst du?«
    »Ach, einen Menschen namens Harrogate und seine Familie, soviel ich weiß.«
    »Aber doch nicht den Bankier hier im Hotel?« fragte der Poet mit einigem Eifer.
    »Das ist der Mann«, antwortete der Reiseführer.
    »Zahlt sich das denn aus?« fragte der Troubadour unschuldig.
    »Für mich wird es sich auszahlen«, sagte Ezza mit einem sehr rätselhaften Lächeln. »Aber ich bin auch eine merkwürdige Art Reiseführer.« Und dann, wie um das Thema zu wechseln, sagte er abrupt: »Er hat eine Tochter – und einen Sohn.«
    »Die Tochter ist göttlich«, bestätigte Muscari, »Vater und Sohn sind vermutlich menschlich. Aber wenn man ihm auch seine harmlosen Eigenschaften zugesteht, erscheint dir dieser Bankier nicht als ein glänzender Beweis meiner These? Harrogate hat Millionen im Tresor, und ich habe – ein Loch in der Tasche. Aber du wirst nicht behaupten – du kannst nicht behaupten, daß er klüger als ich ist, oder kühner als ich, oder auch nur tatkräftiger. Er ist nicht klug, seine Augen sind wie blaue Knöpfe; er ist nicht tatkräftig, er bewegt sich von Stuhl zu Stuhl wie ein Gelähmter. Er ist ein gewissenhafter, freundlicher, alter Schwachkopf; aber er hat Geld, einfach weil er Geld sammelt, wie ein Junge Briefmarken sammelt. Du hast einen viel zu selbständigen Geist fürs Geschäft, Ezza. Du würdest keinen Erfolg haben. Um klug genug zu sein, so viel Geld zusammenzutragen, muß man dumm genug sein, das zu wollen.«
    »Dazu bin ich dumm genug«, sagte Ezza düster. »Aber ich rege eine Vertagung deiner Kritik an dem Bankier an, denn hier kommt er.«
    Mr. Harrogate, der große Finanzmann, betrat tatsächlich den Raum, aber niemand beachtete ihn. Er war ein massiger älterer Mann mit verwaschen wirkenden, blauen Augen und einem verblaßten,

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