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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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der Doktor starrten beide Father Brown an, der steif aufrecht stand und sich die Hände an die Schläfen preßte wie ein Mann mit plötzlichen, starken Schmerzen.
    »Halt, halt, halt!« rief er. »Hört einen Augenblick zu reden auf, denn ich sehe die Hälfte. Wird Gott mir Stärke geben? Wird mein Verstand den Sprung machen und alles sehen? Himmel hilf mir! Früher konnte ich ganz ordentlich denken. Ich konnte einmal jede Seite bei Thomas von Aquin paraphrasieren. Wird mein Kopf bersten – oder wird er erkennen? Ich sehe die Hälfte – ich sehe nur die Hälfte.«
    Er vergrub seinen Kopf in den Händen und stand da in einer Art starrer Qual des Denkens oder Betens, während die anderen drei nichts anderes tun konnten, als auf dieses neueste Wunder ihrer 12 wilden Stunden zu starren.
    Als Father Browns Hände herabsanken, ließen sie ein ganz neues und ernsthaftes Gesicht sehen, das Gesicht eines Rindes. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte: »Lassen Sie uns das so rasch wie möglich hinter uns bringen. Hören Sie zu, das wird der schnellste Weg sein, Sie alle von der Wahrheit zu überzeugen.« Er wandte sich an den Doktor. »Dr. Simon«, sagte er, »Sie haben einen scharfen Verstand, und heute morgen hörte ich Sie die 5 schwierigsten Fragen zu dieser Angelegenheit stellen. Alsdann, wenn Sie sie noch einmal fragen, werde ich sie beantworten.«
    Simons Pincenez fiel ihm vor zweifelnder Verwunderung von der Nase, aber er antwortete sofort: »Nun ja, die 1. Frage, wissen Sie, ist, warum ein Mann einen anderen mit einem unhandlichen Säbel töten sollte, wenn man ihn doch mit einer Ahle töten könnte.«
    »Ein Mann kann mit einer Ahle nicht geköpft werden«, sagte Brown ruhig, »und für diesen Mord war Köpfen absolut notwendig.«
    »Warum?« fragte O’Brien interessiert.
    »Und die nächste Frage?« fragte Father Brown.
    »Also: Warum hat der Mann nicht geschrieen oder so?« fragte der Doktor. »Säbel in Gärten sind doch sicher ziemlich ungewöhnlich.«
    »Zweige«, sagte der Priester düster und wandte sich dem Fenster zu, das auf die Todesszene hinausging. »Niemand hat die Sache mit den Zweigen begriffen. Warum sollten sie auf dem Rasen liegen – sehen Sie hin –, so weit von jedem Baum entfernt? Sie sind nicht abgebrochen worden; sie sind abgehauen worden. Der Mörder hat seinen Feind mit irgendwelchen Säbeltricks abgelenkt, hat ihm gezeigt, wie er einen Zweig in der Luft zerhauen kann, oder so was. Und dann, als sich der Feind niederbeugte, um sich das Ergebnis anzusehen, ein unhörbarer Streich, und der Kopf fiel.«
    »Jaha«, sagte der Doktor langsam, »das klingt glaubhaft genug. Aber meine beiden nächsten Fragen werden jeden in Verlegenheit bringen.«
    Der Priester sah immer noch kritisch aus dem Fenster und wartete.
    »Sie wissen, daß der ganze Garten wie eine luftdichte Kammer abgeschlossen war«, fuhr der Doktor fort. »Wie also kam der fremde Mann in den Garten?«
    Ohne sich umzuwenden, antwortete der kleine Priester: »Es war nie ein fremder Mann im Garten.«
    Da war ein Schweigen, und dann löste ein plötzliches Keckern fast kindlichen Lachens die Spannung. Die Ungereimtheit von Browns Bemerkung trieb Iwan zu offenem Spott.
    »Oha!« schrie er. »Dann haben wir also keine große fette Leiche heute nacht aufs Sofa geschleppt? Und ich vermute, daß er überhaupt nicht in den Garten geraten ist?«
    »In den Garten geraten?« wiederholte Brown nachdenklich. »Nein, nicht ganz.«
    »Zum Henker«, schrie Simon, »entweder gelangt ein Mann in einen Garten, oder er tut es nicht.«
    »Nicht notwendigerweise«, sagte der Priester mit einem schwachen Lächeln. »Was ist Ihre nächste Frage, Doktor?«
    »Sie sind verrückt«, sagte Dr. Simon scharf; »aber wenn Sie wollen, werde ich die nächste Frage doch stellen. Wie kam Brayne aus dem Garten hinaus?«
    »Er kam nicht aus dem Garten hinaus«, sagte der Priester und sah immer noch aus dem Fenster.
    »Kam nicht aus dem Garten hinaus?« explodierte Simon.
    »Nicht ganz«, sagte Father Brown.
    Simon schüttelte die Fäuste in einem rasenden Anfall französischer Logik. »Ein Mann kommt aus einem Garten raus, oder er tut es nicht«, schrie er.
    »Nicht immer«, sagte Father Brown.
    Dr. Simon sprang ungeduldig auf. »Ich habe keine Zeit für solch sinnloses Geschwätz«, rief er ärgerlich. »Wenn Sie nicht verstehen können, daß ein Mann sich entweder auf der einen Seite einer Mauer befindet oder auf der anderen, will ich Sie nicht länger

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