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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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das Geräusch wie ein flüsternder Wirbelwind bis an das Büro herangefegt war, wechselte es plötzlich wieder in das alte langsame schlendernde Stapfen.
    Father Brown warf seine Papiere hin und ging, da er die Bürotür geschlossen wußte, auf der anderen Seite in die Garderobe. Der Wärter dieses Ortes war zeitweilig abwesend, wohl weil die einzigen Gäste beim Dinner saßen und sein Amt eine Pfründe war. Nachdem er sich durch einen grauen Wald von Mänteln getastet hatte, stellte er fest, daß sich die dunkle Garderobe zum erleuchteten Korridor hin wie ein Ladentisch oder eine Art Halbtür öffnete wie die meisten solcher Theken, über die wir alle schon Schirme gereicht und Marken in Empfang genommen haben. Unmittelbar über dem Schwibbogen dieser Öffnung hing eine Lampe. Sie beleuchtete Father Brown kaum, der wie ein dunkler Umriß vor dem matten Sonenuntergangsfenster hinter ihm erschien. Aber sie warf ein fast theatralisches Licht auf den Mann, der vor der Garderobe im Korridor stand.
    Es war ein sehr eleganter Mann in einfachem Abendanzug; großgewachsen, aber er wirkte, als nehme er nicht viel Raum ein; man spürte, daß er wie ein Schatten dort hätte vorübergleiten können, wo sehr viel kleinere Männer auffällig und störend gewirkt hätten. Sein Gesicht, jetzt im Lampenschein zurückgeworfen, war dunkel und lebhaft, das Gesicht eines Ausländers. Seine Erscheinung war gut, seine Manieren waren gut gelaunt und selbstbewußt; ein Kritiker hätte lediglich feststellen können, daß sein schwarzer Frack nicht ganz zu seiner Erscheinung und seinen Manieren paßte, ja sogar auf sonderbare Weise geschwollen und gebauscht erschien. In dem Augenblick, da er Browns schwarze Silhouette vor dem Sonnenuntergang erblickte, warf er ein Stück Papier mit einer Nummer darauf hin und rief mit leutseliger Autorität: »Ich möchte meinen Hut und meinen Mantel bitte; ich muß sofort gehen.«
    Father Brown nahm wortlos das Papier und ging gehorsam den Mantel suchen; es war nicht die erste niedere Arbeit, die er in seinem Leben verrichtete. Er brachte ihn herbei und legte ihn auf die Theke; inzwischen sagte der fremde Herr, der in seiner Westentasche herumgesucht hatte, lachend: »Ich hab kein Silber bei mir; behalten Sie das«, und er warf einen halben Sovereign hin und nahm seinen Mantel auf.
    Father Browns Gestalt blieb ganz dunkel und ruhig; aber in diesem Augenblick hatte er seinen Kopf verloren. Sein Kopf war immer dann am wertvollsten, wenn er ihn verloren hatte. In solchen Augenblicken zählte er zwei und zwei zusammen und machte vier Millionen daraus. Oftmals billigte die katholische Kirche (die mit der Alltagsvernunft verheiratet ist) das nicht. Oftmals billigte er selbst das nicht. Aber es war eine wirkliche Eingebung – wichtig in seltenen Krisen –, daß wer da seinen Kopf verliert, ihn retten wird.
    »Ich glaube, Sir«, sagte er höflich, »daß Sie einiges Silber in Ihren Taschen haben.«
    Der hochgewachsene Gentleman starrte ihn an. »Zum Teufel«, schrie er, »ich habe Ihnen doch Gold gegeben, was beklagen Sie sich denn?«
    »Weil Silber manchmal wertvoller ist als Gold«, sagte der Priester sanftmütig; »vor allem in großen Mengen.«
    Der Fremde sah ihn neugierig an. Danach sah er noch neugieriger den Gang hinab zum Haupteingang hin. Dann sah er wieder Brown an, und dann sah er sehr sorgfältig nach dem Fenster hinter Browns Haupt, das immer noch vom Nachglühen des Gewitters gefärbt war. Dann schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Er stützte eine Hand auf die Theke, schwang sich leicht wie ein Akrobat hinüber und stand dann dräuend über dem Priester, den er mit mächtiger Hand beim Kragen packte.
    »Stehen Sie still«, sagte er in einem abgehackten Flüstern. »Ich will Ihnen nicht drohen, aber…«
    »Ich will Ihnen drohen«, sagte Father Brown mit einer Stimme wie eine dröhnende Trommel. »Ich will Ihnen drohen mit dem Wurm, der niemals stirbt, und mit dem Feuer, das nie gelöscht wird.«
    »Sie sind eine sonderbare Art von Garderobier«, sagte der andere.
    »Ich bin Priester, Monsieur Flambeau«, sagte Brown, »und ich bin bereit, Ihre Beichte zu hören.«
    Der andere stand einige Augenblicke da, nach Luft schnappend, dann taumelte er rückwärts auf einen Stuhl.
     
    Die beiden ersten Gänge des Dinners der »zwölf wahren Fischer« waren mit ruhigem Erfolg verlaufen. Ich besitze keine Abschrift der Speisekarte; und wenn ich eine besäße, würde ich niemandem davon etwas mitteilen.

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